Wünsche
Autozeitung in die Computertasche schob. Hier waren wir schon mal, wir sind gleich da, sagte er, und es klang zynisch. Während das Flugzeug in harten Intervallen dem Boden entgegenfiel und das Fahrwerk wummernd zu machen schien, was es wollte, während das Netz von menschenleeren Landstraßen, gesäumt von Nadelbäumen, die sich im Sturm fast bis zum Boden verneigten, erschien und dahinter die graue Asphaltsteppe der Landebahnen, sagte der Mann neben Hannes, ich heiße Kreitel, Franz-Josef Kreitel, aber alle nennen mich Karatsch. Nett, Sie kennen gelernt zu haben. Er hatte mit einem breiten Ehering gegen seine Sitzlehne geklopft – und die Maschine hatte aufgesetzt. In der wartenden Menge vor dem Ausgang war Hannes später das kleine Gesicht einer Frau aufgefallen, die auf seinen Sitznachbarn Karatsch zugelaufen kam. Das kleine Gesicht einer wartenden Frau in der Menge, die nun doch nicht Witwe geworden ist, hatte er gedacht. Irgendwie war es ihm bekannt vorgekommen. Aber kleine Gesichter von Frauen kamen ihm immer bekannt vor, weil er die großen nicht mochte. Er hatte sich noch einmal umgedreht. Da hatte er die Frau erkannt.
Vera.
Würden Sie auch eine Frau heiraten, die liest, hatte sie, Lehrerin an seiner Berufsschule, ihn vor vielen Jahren gefragt. Wenige Wochen später auf der Schulentlassungsfeier hatte er mit ihr im Treppenhaus gesessen und Bier getrunken, während die anderen tanzten. Dann hatten sie aufgehört, Bier zu trinken und waren zu ihm gegangen.
Das alte Gitanes-Rennrad, das Karatsch ihm gleich im Januar geliehen hatte, lehnte draußen an der Tonne für Plastikmüll. In zehn Minuten wird er es wie immer am westlichen Waldrand der Stadt anschließen, genau vor der rosa Villa, deren Fenster auch bei schönem Wetter so hart geschlossen aussehen, als würde dort seit Jahren keiner mehr wohnen. Gehört wohl noch den Wünsches, der alte Kasten, hatte Karatsch einmal gesagt. Er wird den Hang hinauflaufen, vorbei am Freibad und dem leer stehenden Bauernhof, der noch immer nach Mist riecht. Oben angekommen wird er die Abkürzung querfeldein nehmen, vorbei am Haus des Försters, wo im April die Wildrosen angefangen hatten zu blühen. Wie schön! Glück ist eben nicht, wie er immer geglaubt hatte, das Ergebnis richtiger Entscheidungen. Beim Waldeingang wird Hannes über die rot-weiße Schranke springen, die Schonung für die kleinen Tannen rechts liegen lassen und auch den dunklen Fleck verbrannter Erde, dort, wo im Dezember der Weihnachtsbaumverkäufer sitzt. Wie in jedem Jahr, hatte Karatsch neulich gesagt, wirst sehen. Denn sicher bist du da noch da, mein Freund.
Mein Freund. Gern hatte Hannes das gehört.
Er hob mit einer Hand das Rad auf die andere Seite des Gartentors, das Frau Gutmann neuerdings auch am Tag verschlossen hielt, seitdem ihr Wischlappen, diese platte, tote, nasse Ratte, von der untersten Treppenstufe gestohlen worden war. Mein Fußabtreter, hatte sie am Tag des Diebstahls zu Hannes gesagt, mein armer Fußabtreter, so wie andere mein armer Mann sagen. Er stieg auf und fuhr freihändig bis zur ersten Kreuzung. Fast flog er. Während der Fahrt zog er den Reißverschluss seiner grünen Jacke zu und freute sich auf gleich, wenn der Boden unter seinen Laufschuhen spätestens nach der Feuerstelle weicher wurde. Dort begann der Tannenwald, wo er eintauchen würde in eine dunkelgrüne Dämmerung. Manchmal schimpfte eine Amsel, manchmal nicht. Manchmal gab es dann tatsächlich bald Regen. Oder er blieb aus. Aber immer rauschte in der Ferne beruhigend die A1. Ein kurzes Stück musste er den alten Trimmpfad entlang, den kaum jemand nutzte, den aber auch niemand abbaute. Er würde sich an eine der Stangen hängen und bei jedem der Klimmzüge merken, er lebte gern hier, und dabei vergessen, wie er einmal hatte leben wollen.
Ende April, als die Jobs bei Karatschs Jazzagentur auszulaufen drohten und Hannes’ Aufenthalt beendet zu sein schien, war ihm plötzlich die Idee gekommen. Ein Anruf in seiner alten Fernsehredaktion, zwei Seiten Exposé, dazu die Versicherung, er werde erst einmal allein mit eigener Kamera arbeiten, würden seinem ehemaligen Chef wenigstens einen Letter of Intent abringen. Damit wären Produktion und Postproduktion zwar nicht gesichert, aber freundlich in Erwägung gezogen. Eine Canon LEGRIA HFS 100 Full- HD mit Bildstabilisator besaß Hannes längst selber. Das war zwar eine Amateurkamera aus der Metro, aber gerade noch fernsehtauglich. Ein alter Freund von ihm,
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