Wünsche
ist die richtige Größe nicht vorhanden, nimmt man das hier und bestellt mithilfe des freundlichen Gesichts hinter der Ladentheke im Netz.
Er hielt ein iPad hoch.
Was wir hier nicht anbieten können, lässt sich in kürzester Zeit online bestellen. Und weißt du, wie ich das nenne?
Hannes zoomte Friedrichs Gesicht näher heran, auf dem die Begeisterung für den folgenden Satz bereits zu erkennen war.
Zeitlos einkaufen, sagte er, machte zwei Schritte seitwärts und legte einer Schaufensterpuppe seinen Arm um die Taille. Sie hatte die Figur einer Eieruhr mit den Idealmaßen der Fünfzigerjahre. Friedrich lächelte. Er spielte ein Lächeln. Als Hannes’ Großmutter nach der Trauung mit dem Großvater aus der Kirche herausgetreten war, hatten beide genauso gelächelt, erzählten alte Schwarz-Weiß-Fotos. Regen fiel. Es war der 1. Mai 1953. Das geliehene Auto im Hintergrund war schwarz, die Nelken dunkelgrau, und der Regen hatte seine eigene Farbe gehabt, die man nur in der Bewegung sehen konnte. Trauzeugen warfen Geld und Bonbons. Der Großvater lächelte auf den regennassen Boden und die Großmutter in sein abwesendes Lächeln hinein. Er hatte klug ausgesehen, sie glücklich.
Die gute alte Zeit kombiniert mit der Technik des Internetzeitalters, glaubst du, das klappt?, fragte Hannes, während Friedrich die Hüften der Puppe losließ und zur Seite trat. Zwei Lehrmädchen in schmalen Jeans schoben sich ins Bild. Mit Stecknadeln zwischen den Lippen fingen sie an, ein Etuikleid für die Puppe auf Taille zu bringen.
Hallo, sagte Hannes leise.
Als sie zu ihm herüberschauten, lag eine unklare Erwartung wie Schlaf auf ihren Gesichtern.
So könnte der Film beginnen, dachte Hannes, genau so.
Im Laden roch es, wie es immer schon dort gerochen hatte, nach altem Holzboden, Bohnerwachs, nach den geölten grünen Spänen, mit denen die Lehrmädchen einmal nach Feierabend den Boden bestreut und gefegt hatten, bevor sie sich mit beiden Händen in die Haare gegriffen hatten und hinüber zum Marktplatz gelaufen waren, der damals Verlobungskorso gewesen war.
Übrigens, sagte Friedrich, habe ich pro Abteilung eine ausgebildete Verkäuferin oder ein Mädchen mehr eingestellt, so dass alle mehr Zeit für die Kunden aufbringen und die eine oder andere auch Muße haben wird, in der Teeküche mal einen Roman zu lesen.
Er zwinkerte: War ein Witz, das mit dem Roman.
Hannes zwinkerte nicht zurück, aber er mochte Friedrich. Und in dem Moment fiel ihm auch der Titel für seinen Film ein.
Ganz einfach: Wünsche .
Eine Stunde später. Kommen wir zu den Events, sagte Friedrich und sah in seiner schäbigen Cordjacke dem großen Jungen ähnlich, der er sicher einmal gewesen war. Eine späte Sonne fiel von oben durch das Glasdach aus matt geschliffenen Scheiben, das die Helligkeit des Tages vor allem an hellen Mittagen zu einem diffusen Lichtstaub dämpfte. Unter diesem Dach schien Haus Wünsche für den Moment in einem kappellenartigen Schweigen zu versinken. Wie ein Schiff. An der Ecke einer jeden neuen Abteilung stand ein einfacher, heller Holzstuhl, jeder sauber schräg ausgerichtet auf die Mittellinie des Raums. Alle Stühle waren leer. Der ganze Laden war leer. Trotzdem drehten sie weiter. Hannes hatte soeben einen Einkaufswagen zu sich herangezogen und die Kamera mit Stativ darin eingerichtet. Habe ich in einem Dokumentarfilm über Dreharbeiten in den Dreißigerjahren so gesehen, hatte er gesagt. Er umrundete Friedrich. Mitten in dessen beharrlichem Glauben an Erfahrungen und Können als ehemaliger Manager bei einem Unternehmen, das einen Umsatz in Milliardenhöhe im Jahr machte, tauchte da nicht trotzdem die Möglichkeit einer Schlappe auf? Oder hatte einer wie Wünsche schon zu lange mit dem Erfolg zusammengelebt und Trennung war unmöglich, wie in alten Ehen? Oder würde am Ende er, Hannes, sein filmisches Material einfach so schneiden müssen, dass niemand darauf kam, wie sehr es in Wirklichkeit ums Scheitern ging, um so dem möglichen Konkurs von Haus Wünsche seine Wucht zu nehmen?
Wünsche . Ein Film über ein geglücktes Scheitern.
Meine Schwester, sagte Friedrich, will im Frühjahr und im Herbst als echtes Event Modenschauen geben, bei denen wie früher Ballkleider aus reiner, unbeschwerter Seide zu Songs von Frank Sinatra und Marilyn Monroe auf den Steg kommen, präsentiert von Damen aus dem Kreis der Stammkundinnen oder jungen Mädchen, die wir von der Straße holen. Sie hat auch ein eigenes Label entwickelt, für
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