Wünsche
die hauseigene Marke in Sachen Damenbekleidung. OMO , heißt ihre Kollektion, On My Own.
OMO , wie dieses Waschpulver früher?
Ja.
Warum?
So ist sie eben, sagte Friedrich.
Von der Straße her klopfte jemand gegen eine der sieben Schaufensterscheiben von Haus Wünsche.
Ist sie das vielleicht?, fragte Hannes.
Wünsche grinste in die Kamera, als säßen Hannes und er in seinem unaufgeräumten Jungenszimmer, in dem eine Modelleisenbahn unter dem Bett herumfuhr.
Achtung, meine Schwester Meret ist verlogen, gefährlich und hat einen Vogel, das musst du wissen, falls sie dir gefällt.
Hannes schaltete die Kamera aus.
Das mit deiner Schwester, das schneiden wir raus.
Was genau davon?
Alles.
Hannes schaute zu Boden. Neben Friedrichs linkem Schuh lag ein lila Schleifenband. So eins, mit dessen Hilfe sich Ware mit wenigen Handgriffen in ein Geschenk verwandelte.
Wie nah war ihm Merets Nähe letztes Silvester in der Hotelbar gegangen. Vielleicht hatte es an der Art gelegen, wie sie mit ihm getanzt hatte, in der Nacht, als Vera verschwand. Cantaloupe Island von Herbie Hancock. Klavier, Bass und Saxofon hatten wie ein Live-Trio eingesetzt, als dieser Schmidtke an der Bar nach längerem Suchen endlich eine CD zum Tanzen eingelegt hatte. Der Song gehörte in eine Zeit vor langer Zeit, in der Menschen Petticoats zwischen sich zerdrücken mussten, um die Hüfte des anderen zu spüren. Als Meret aufstand und ihn mit einer Zerknirschtheit, die überraschte, auf die winzige Fläche zwischen den Tischen zog, hatte sie Ähnlichkeit mit einer anderen gehabt. Mit Vera? Nein, mit noch einer anderen.
Woran denkst du? Denkst du an meinen Hintern?, fragte sie ihn auf der kleinen Tanzfläche und schob eine Hand unter seine Achsel.
Zuerst hatte Hannes versucht, mit ihr so feierlich wie mit seiner Mutter zu tanzen oder so kameradschaftlich wie mit einer kleinen Schwester. Dass ihre Hüften sich berührten, hatte er vermieden und Meret wie ein Stück Sperrgut auf den sechs oder sieben Quadratmetern herumgeschoben. Dann legte Schmidtke eine andere CD ein. Eine Sängerin mit einer Stimme wie Joni Mitchell und sicherlich einer Haut wie Milchschokolade sang Night Ride Home . Meret sang leise mit und lehnte den Kopf an seine Schulter. An sein Herz. Der nächste Song war schneller. The Dry Cleaner from Des Moines . Überrascht ließ Hannes Meret los, die plötzlich allein tanzen wollte, und bereute, das nicht schon früher getan zu haben. Als der Song wechselte, drückte er sie wieder an sich, und er bereute wieder, dies nicht schon früher getan zu haben. Einmal, vor langer Zeit, er war vielleicht fünfzehn gewesen, hatte ein Mädchen, das sehr dunklen Lippenstift in einem bleichen Gesicht trug und vielleicht zwei oder drei Jahre älter war als er, auch so getanzt. Das war in einem Ferienlager auf einer schottischen Insel gewesen, und er hatte nicht gedacht, dass es noch einmal in seinem Leben so eine Explosion geben könnte. Er erinnerte sich genau, wie das Mädchen mit dem sehr dunkelroten Lippenstift, der schon blau schimmerte, damals so getanzt hatte, dass seine schlimmsten Vorstellungen, auch die, einmal sterben zu müssen, sich auflösten wie finstere Kinderlieder oder wie dieses Gerede der Eltern, die mit leeren Drohungen nur erschrecken wollten. Man musste nur rechtzeitig im Leben den Zipfel einer Liebesgeschichte, den Saum eines Mädchenrocks zu fassen bekommen, um sich weit, weit ziehen lassen zu können. So weit es überhaupt ging und noch darüber hinaus, bis in dieses unerhörte Gefühl hinein, dass man vielleicht doch unsterblich war.
Warum hatte er eigentlich bei der Abschlussprüfungsparty in der Berufsschule nicht so mit Vera getanzt?
Warum hatte er zwar mit Meret so getanzt, aber war nicht mit ihr auf sein Hotelzimmer gegangen?
Das Mädchen mit dem sehr dunkelroten Lippenstift damals in Schottland, der so blau war, dass sie aussah, als friere sie ständig, hatte ihm bewiesen, dass man für die Ewigkeit gemacht war, wenn man so tanzte, und dass es nichts gab, das bis zum Ende einer solchen Nacht gegen dieses große Gefühl sprach. An dem letzten Silvester hatte Meret genauso getanzt, bis Hannes ihr zugeflüstert hatte: Was machen wir jetzt?
Vielleicht gehen wir nach Berlin, oder haben Sie eine Freundin?
Meret hatte den Kopf schräg gelegt wie ein Vogel, der darauf wartet, dass man ihm etwas vorpfeift.
Und wenn ich eine hätte?
Dann mach ich was dagegen, gegen diese Freundin, hatte Meret gesagt.
Hatte er sich in
Weitere Kostenlose Bücher