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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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bis der Volvo kommt, neben ihr bremst, und ich die Scheibe herunterlasse: Kann ich Ihnen irgendwie helfen, schöne Frau? Ich will zum Friedhof, sagt sie, aber viel mehr Text kriegt sie nicht. Ihre Stimme ist piepsig. Ich steige aus, immer noch ganz Operngala, immer noch im schwarzen Abendkleid, das dir und Friedrich von hinten am besten gefällt, selbst wenn nur ich drinstecke, nicht Vera. Auf der Kühlerhaube breite ich diesen Schnittmusterbogen hier wie einen Stadtplan aus. Schauen Sie, sage ich und fahre mit dem Finger am gepunkteten Rocksaum entlang bis hoch zur Wiener Naht. Dies ist der kürzeste Weg, sage ich. Ich tippe auf ein Knopfloch: Dort müssen Sie abbiegen. Danach folgen Sie der kurzen Doppelnaht bis zum Ende. Hier, der Friedhof selber hat deutlich den Umriss eines Haifischkragens, dessen Ecken weit voneinander entfernt liegen. Ich tippe auf die linke Spitze: Das ist der evangelische Teil. Ich tippe auf die rechte: Und das der katholische. Ich lege meinen Plan auf Postkartengröße wieder zusammen und überreiche ihn dem Mädchen, wie eine Visitenkarte. Haus Wünsche, liest sie laut vom obersten Blatt des zusammengefalteten Papiers.
    Haus Wünsche, wiederhole ich, weil ihre Stimme so piepsig ist. Und besuchen Sie uns doch einmal, schlage ich zum Schluss im stürmischen Ton eines Agenten oder Vertreters vor, bevor ich wieder in den Volvo steige.
    Gute Idee, sagte Hannes.
    Mimi, zwei Kaffee bitte, rief Meret. Ein Mann mit den schwarzen Augen eines Persers, den nur ein böses Schicksal an den Rand des Ruhrgebietes verschlagen haben konnte, kam mit Bechern.
    Mimi?, fragte Hannes.
    Er heißt eigentlich Nami Main. Und du, was machst du eigentlich heute Abend? Meret legte eine Hand auf die Tüte, dann auf Hannes’ Unterarm.
    Ich habe nämlich noch mehr gute Ideen, sagte sie.
    Vielleicht Kino?, fragte er.
    5.
    Das Dach des Kinos strahlte über ihr wie eine schwungvolle Ellipse aus den Fünfzigern. Kein Dach, ein Keks. Der Film hatte längst angefangen. Hannes war verschwitzt, verunsichert und zu spät. Als er sein Rad anschließen wollte, sagte sie, lass, wir gehen.
    Wind wehte alte Zeitungen in den dunklen Eingang des Kaufhofs gegenüber, neben dem ein einzelner, gelber Postbriefkasten hing.
    Die sind pleite, sagte Meret, uns gibt es noch.
    Wir gehen wohin?, fragte Hannes.
    Von mir aus zu dir, sagte Meret.
    Auf dem Weg ließen sie so viel Platz zwischen sich, als warteten sie auf jemand Dritten, der ihnen beiden näherstand. Meret redete, wie um die Lücke zwischen Hannes und sich zu schließen. Zwei Jahre vor dem Abitur hatte sie auf dem Soziussitz einer 750er Honda die Stadt verlassen, erzählte sie. Vorn saß eine Frau in Ledermontur. Denn kurz war sie in jener Zeit lesbisch gewesen, sagte sie. Ihre beste Freundin wurde davon so eifersüchtig, dass sie sich ebenfalls eine Motorradjacke kaufte, ohne jemals Motorrad fahren zu wollen. Vera, sagte Meret, ach Vera. Nach Hause hatte Meret vier Wochen später eine Karte geschrieben: Mache eine Schneiderlehre. Dass sie nebenbei in einer Show mit Haien arbeitete und faul und gedankenlos, wie sie war, zwischen den Viechern im Bikini herumschwamm, bis einer eines Tages zubiss, schrieb sie nicht.
    Und dann?
    Dann Escort, und dann bin ich Aktmodell geworden, war ja noch alles dran. Sie lächelte und legte im Gehen eine Hand auf seinen Fahrradsattel. Das kam ihm sehr intim vor.
    Gleich da drüben ist übrigens unsere alte Schule. Sie zeigte auf ein altes Gebäude aus rotem Backstein hinter hohen Kastanien, die dunkel rauschten. Nur am Eingang stand einsam eine dünne Birke.
    Da habe ich sieben Jahre meines Lebens vergeudet, und weißt du, was mich damals über Wasser gehalten hat?
    Nein.
    Erstens, die Hoffnung, eines Tages von hier wegzukommen.
    Und zweitens?
    Vera.
    Ach, sagte er. Sie aber redete bereits weiter. Er konnte nicht einmal den Namen Vera wiederholen.
    Einmal noch war Meret an Weihnachten zurückgekommen und rasch wieder verschwunden in den Tagen zwischen den Jahren, doch mit fetter Beute, sagte sie stolz. Sie hatte den Schmuck ihrer Mutter aus dem Familiensafe dabei und war in Begleitung eines schwarzäugigen Iraners mit Abitur, den sie noch aus der Schule kannte und unter dem Einfluss von Alkohol in einer Kneipe am Ort ein zweites Mal kennengelernt hatte. Nami Main, von allen Freunden zärtlich Mimi genannt. Er bewirtschaftete damals schon das Zigarettenbüdchen auf dem Marktplatz und hatte zwei Kinder. Zu Ostern war er wieder zurückgegangen. Mein

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