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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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innerlich fast zerrissen. Kann man sich von so etwas jemals erholen?« Ifasen sah Richard an, als erwartete er eine Antwort. »Wissen Sie, es gab Tage, an denen ich meine eigenen Eltern gern gegen die ihren eingetauscht hätte. Meine Familie hätte von mir aus verschwinden können, nur damit Abayomi endlich wieder ihren Vater und ihre Mutter gehabt hätte. Wenn ich nur daran denke, quälen mich noch heute Schuldgefühle.«
    »Ich kann mir so etwas nicht vorstellen.« Richard merkte zu spät, wie zweideutig seine Bemerkung klang. »Ich meine … in Abayomis Lage zu sein. Oder auch in Ihrer.« Er schwieg einen Moment lang und fügte dann hinzu: »Aber Sie haben mir noch nicht erzählt, was mit Abayomis Vater passiert ist.«

    »Ich weiß.« Ifasen sah ihn einen langen Moment an, ohne den Blick zu senken. »Für Abayomi gab es kein Leben mehr in Nigeria. Wir sind in dieses Land gekommen, um noch einmal von vorn zu beginnen. Abayomi schickt die Hälfte ihres Einkommens an ihre Tante in Nigeria.«
    Die Erwähnung von Abayomis Einkommen ließ Richard in sich zusammensinken. Er stellte sich seine zerknitterten Scheine in einem Umschlag vor, heimlich geöffnet im fernen Norden des Kontinents. Aus irgendeinem Grund bildete er sich ein, dass die Scheine das Geheimnis ihrer Herkunft preisgaben, dass sie verrieten, von wem sie stammten und dass sie für eine Phantasie gezahlt wurden - für ein erbärmliches Vorgaukeln von Liebe.
    »Okay«, sagte Richard. »Soweit ich verstanden habe, ist Geld verschwunden, das Sie gebraucht hätten. Aber Sie müssen sich keine Sorgen machen. Abayomi hat inzwischen die Summe aufgetrieben, die nötig ist.« Ifasen sah ihn fragend an, erwiderte aber nichts. Richard nahm einen Stift zur Hand und klappte seinen Notizblock auf. »Also gut. Dann erzählen Sie mir mal, was genau passiert ist. Und dann wollen wir sehen, ob wir Sie nicht doch noch auf Kaution frei bekommen.«
    Ifasen schilderte die Vorfälle, die zu seiner Verhaftung geführt hatten. Richard war entsetzt, als er hörte, wie sich der Kläger an der Ampelkreuzung aufgeführt hatte. Er fragte Ifasen nach dem Verhalten der Polizisten und versuchte zu verstehen, weshalb man gerade diesen Nigerianer auserkoren hatte, um ein Exempel zu statuieren. Ifasen erklärte, dass das Ganze eine komplizierte Vorgeschichte habe. Polizisten wie Jeneker wurden von Geschäftsleuten bezahlt, die Flüchtlinge in dieses Land schleusten. Man benutzte solche korrupten Polizeibeamten, um sicherzustellen, dass die Flüchtlinge ihre Schulden bezahlten. Und dass sie still hielten.
    »Wir müssen alle zwei Jahre unseren Status als Flüchtlinge
erneuern. Dafür muss man Leute schmieren. Der Mann aus dem Innenministerium will fünftausend, und der Mann, der uns hierhergebracht hat, will auch jedes Mal so viel, wenn unsere Aufenthaltsgenehmigung erneuert wird. Eine solche Summe haben wir nicht, auch wenn wir sparen, wo wir nur können. Der Mann aus dem Ministerium besucht uns trotzdem und …«
    Ifasen verstummte und blickte zu Boden. Richard ballte die Fäuste. Er war so blind gewesen: Die Welt, die er betreten hatte, war ebenso voller Falltüren wie die, die er verlassen hatte. In Wirklichkeit herrschte überall grausame Brutalität. Er hätte am liebsten auf jemanden eingeschlagen - auf Coetzee, den Polizisten, diesen Mann aus dem Innenministerium, Amanda. Seine Wut auf seine Frau überraschte ihn. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass auch sie verantwortlich für all das war, dass auch sie ihn hinters Licht geführt und betrogen hatte.
    Er beendete die Besprechung in einem Nebel verwirrender Gefühle, wobei er Ifasen versprach, am Ende der Woche einen Antrag zu stellen, damit er auf Kaution freigelassen wurde. Svritskys Gerichtsverhandlung begann zwar bereits in zwei Tagen, aber wenn er den zuständigen Amtsrichter bat, Ifasens Antrag früh am Morgen abzuhandeln, konnte er danach mit dem Fall des Russen weitermachen. Er fragte sich sowieso, ob die Staatsanwaltschaft nicht doch noch einlenken würde, was den Fall Svritsky betraf, wenn sie ihren Augenzeugen bis zum Verhandlungsbeginn nicht aufgetrieben hatte.
    Schließlich schüttelte Richard Ifasen die Hand und ging. Der Gefängniskorridor wirkte beängstigend eng, und er war erleichtert, als er in den strahlenden Nachmittag und die warme Brise hinaustrat. Die Bäume sahen leuchtend grün aus, wie sie sanft im südöstlichen Wind hin und her schwankten.
    Richard saß eine Weile vor dem Gefängnis in seinem Auto. Die

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