Würde - Roman
Klimaanlage lief leise, und er fühlte sich ausgelaugt. Die
widersprüchlichsten Gefühle kämpften in seinem Inneren um die Vorherrschaft, während er sich in seinem Schalensitz zurücklehnte. Er blickte auf seine Hose und entdeckte dort ein langes, seidiges Hundehaar. Verärgert streifte er es beiseite. Er fühlte sich, als hätte ihn seine Angebetete verschmäht, als wären seine törichten Annäherungsversuche zurückgewiesen worden. Er spürte auf einmal die ganze Wut über die Demütigung, die tiefe Traurigkeit ob des Verlusts, die Scham und den Hass sich selbst gegenüber. Für wen hatte er sich eigentlich gehalten? Für wen hatte er sie gehalten? Sie hatten gemeinsam ein Spiel gespielt - wie Kinder, die die Schule schwänzen. Nur hatte er dieses Spiel mit der Wirklichkeit verwechselt.
Er brauchte eine Weile, bis er sich genügend beruhigt hatte, um loszufahren. Noch auf dem Highway schlug er immer wieder auf das Lenkrad ein, wenn quälender Zorn und tiefe Verzweiflung in ihm aufwallten. Er verspürte das Bedürfnis zu weinen, was ihn nur noch wütender machte.
»Du Idiot! Du verdammter Idiot!«
Seine Worte hallten laut in seinen Ohren wider. Es war an der Zeit, dieses Spiel zu beenden. Und sich das zu nehmen, was er wollte.
20
Richard saß an der Hotelbar und trank ein Glas Whisky. Das unpersönliche Ambiente bedrückte ihn ebenso wie das ständige Kommen und Gehen der anderen Gäste, die mit lauten Stimmen ein paar Gläser hinunterstürzten, ehe sie zu angenehmeren Orten in die hereinbrechende Dunkelheit entschwanden.
Nachdem er das Gefängnis verlassen hatte, war er zuerst ziellos und schlecht gelaunt durch das untere Ende der Stadt gefahren und dann zu Fuß gelaufen, bis er schließlich in dieser Hotelbar gelandet war. Das weiche Licht des frühen Abends versprach Partys, Tanz und aufregende Bekanntschaften, aber Richard war schlechter Laune. Eine junge Frau in einem kurzen Rock hatte die Bar betreten und sich allein an die Theke gesetzt. Normalerweise wäre er fasziniert gewesen, aber diesmal starrte er sie nur einen Moment lang an, ehe er sich wieder den Eiswürfeln in seinem Glas widmete.
Nachdem er eine Weile lang düster vor sich hin geblickt und mit seinem Handy herumgespielt hatte, hatte er Abayomi eine Nachricht geschickt. »Wir müssen über ifasen sprechen« war alles, was er geschrieben hatte, ehe er den Namen des Hotels eingab. Dass er die Entscheidung gefällt hatte, die SMS abzuschicken, hatte seine Stimmung jedoch nicht verbessert. Wenn überhaupt, warf ihre blitzschnelle Antwort - »Ja« - nur weitere Fragen auf, mehr misstrauische Vermutungen. Vielleicht ahnte
sie, dass die Wahrheit ans Licht gekommen war. Vielleicht quälte sie auch nur die Sorge um ihren Mann, und sie wollte hören, wie es ihm inzwischen ergangen war.
Richard ließ die schmelzenden Eiswürfel in seinem Glas kreisen und trank dann den Rest der Flüssigkeit aus, die fast nur noch aus Wasser bestand. Der Barkeeper hob die Augenbrauen, und Richard nickte. Ein neues Glas mit Eis und einem doppelten Whisky wurde auf einen trockenen Untersetzer vor ihm auf die Theke gestellt, und die feuchten Spuren des letzten Drinks wurden weggewischt. Als würde ich meinen ersten Whisky neu trinken, dachte er - einfach die Theke sauber wischen und noch einmal von vorn anfangen.
Er spürte bereits, wie sich der Alkohol in seinem Körper ausbreitete. Er sehnte sich danach, betrunken zu sein, so betrunken, dass ihm alles egal war. Und dann einzuschlafen. Er wollte einfach erstarren und zusammenbrechen, in ein völliges Vergessen sinken. Mit einem Satz schüttete er den Whisky hinunter. Er brannte in seinem Hals. Seine Finger kribbelten. Auffordernd nickte er dem Barmann zu, ihm noch einen zu bringen.
Der Mann stellte ihm ein frisches Glas hin und blickte dann misstrauisch auf, als jemand die Bar betrat. Richard hörte ihre Schritte hinter sich, ehe sie die Hand auf seine Schulter legte.
»Hallo, Richard.«
Sie sah anders aus. Zwar war sie noch immer schön, aber weniger glamourös, irgendwie realer. Sie war nicht mehr das sinnliche Geheimnis und auch nicht mehr der neckische Flirt - nein, jetzt strahlte ihre Erscheinung eine ältere, mütterlichere Schönheit aus. Er fragte sich, warum er sie bisher noch nie in diesem Licht gesehen hatte. Einen Moment lang erfüllte ihn Bedauern und dann Liebe für sie.
»Hallo, Abayomi.« Er legte seine Hand auf die ihre, die noch immer seine Schulter berührte. Sie ging langsam um ihn herum
und
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