Würde - Roman
ist nur eine Macht durch eine andere ersetzt worden. Unsere neuen Kolonialherren sind jetzt Chevron, die Weltbank, IMF und Shell. Es sind Herren, die keine Gnade kennen. Firmenstrukturen ohne ein menschliches Antlitz. In Science-Fiction-Filmen übernehmen oft Roboter die Vorherrschaft der Welt, und diese Vorstellung entsetzt uns. Aber das ist gar keine Zukunftsvision, das ist schon lange passiert. Diese gesichtslosen Monster kreisen bereits jetzt wie Aasgeier über meinem Land.«
Obgleich Ifasen weiterhin ruhig klang, legte er nun doch mehr Ausdruck in einzelne Worte seiner Rede. Richard sah, dass etwas Leben in sein Gesicht zurückkehrte, auch wenn es Zorn war, der sich darin widerspiegelte.
»Wir sind noch immer arm«, fuhr Ifasen fort. Er lehnte sich vor. »Der Weltbank verschuldet und der Gnade unserer Herren und Meister ausgeliefert, die unsere Ölreserven leersaugen. Unsere Regierungen kommen und gehen, alles Huren, die mit den Konzernen ins Bett steigen.« Richard zuckte innerlich zusammen bei diesem Vergleich. »Ölfirmen benutzen das Militär und die Polizei, um ihre Interessen in der Region zu schützen. Hunderte, ja Tausende Menschen mussten inzwischen wegen dieser Firmen ihr Leben lassen. Der einzige Rohstoff, den wir exportieren, ist Öl. Wir sind ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Und doch kostet ein Dollar einhundert Naira. Unser Volk lebt in Armut. Unsere Wirtschaft ist ruiniert.«
»Dann sind Sie hierhergekommen, um Arbeit zu finden?«, wollte Richard wissen.
»Nein.« Ifasen runzelte die Stirn. Er wirkte fast gekränkt. »Das ist nur der Hintergrund unserer Geschichte. Nein, wir sind hierhergekommen, um unser Leben zu retten … Es ist eine lange Geschichte. Abayomis Vater war Wirtschaftswissenschaftler an der Universität. In seinen Vorlesungen hat er immer lauter die Geißeln angeprangert, die unser Land im Griff hielten. Ich habe ihn oft gehört. Seine Vorlesungen waren eigentlich mehr wie öffentliche Diskussionen. Unzählige Studenten und auch viele andere Professoren sind gekommen, weil sie sich gegen die Wirtschaftsbosse erheben wollten. Der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa hat gegen Shell demonstriert und die Firma dafür verantwortlich gemacht, das traditionelle Farmland zu ruinieren. Die militärischen Anführer unseres Landes sind schließlich immer nervöser geworden, denn den Konzernmonstern hat offensichtlich nicht gefallen, was vor ihrer Haustür passiert ist. Es ist zu Treffen gekommen, auf denen so einiges beim Namen genannt wurde. General Sani Abacha hat schließlich befohlen, Saro-Wiwa und viele andere zu verhaften. Nach einem schnellen Verfahren vor einem Militärtribunal sind Saro-Wiwa und acht weitere Männer dann gehängt worden.«
»Und Abayomis Vater?«
»Saro-Wiwas Ermordung hat ihm im Grunde das Herz gebrochen. Gleichzeitig hat sie Abayomis Bruder Abazu angefeuert, zu einem kompromisslosen Gegner des Regimes zu werden. Ihre Mutter hat sich mit der Familie auf dem Land versteckt. Abayomi ist allein zurückgeblieben, um die Schule zu beenden. Sie hat in dieser Zeit bei einer Tante gewohnt. Das Militär hat Abazu gesucht - wie Hunde, die eine verletzte Ratte jagen … Es war eine schwere Zeit.« Ifasen schüttelte den Kopf und sah ins Leere.
Richard warf einen Blick auf seine Uhr. Erleichtert stellte er fest, dass die Stunde, die sie zur Verfügung hatten, beinahe vorüber war. Obwohl er nach mehr Hinweisen über Abayomis Vergangenheit gelechzt hatte, waren die nackten Tatsachen nun erschreckend brutal und verwirrten seine Gefühle noch mehr. Er schob die Papiere zusammen, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
Aber Ifasen hatte noch nicht zu Ende gesprochen. »Man hat Abayomi immer wieder aufgesucht«, sagte er. »Man hat ihr gedroht. Einmal, als sie noch ein Teenager war, hat man sie mit aufs Revier genommen und sie über Nacht dortbehalten. Abazu war ständig auf der Flucht, so dass Abayomi tatsächlich nichts über seinen Verbleib wusste. Aber in einem armen Land wie Nigeria gibt es überall Informanten. Für Geld oder eine warme Mahlzeit sagen dir solche Leute alles. Nachdem das mit ihrem Vater geschehen war, hat Abayomi gewusst, dass ihre Familie nie mehr ganz sicher sein würde. Inzwischen ist sie in alle Winde verstreut. Abazu lebt in Europa. Abayomis Mutter ist krank geworden, weil sie nicht daran gewöhnt war, schmutziges Wasser zu trinken. Sie hat ihre ganze Kraft zum Überleben gebraucht, vor allem, nachdem sie keinen Kontakt mehr zu Abazu hatte. Das hat sie
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