Würde - Roman
Wie sollte er sich diesen Moment wieder vor Augen führen, wenn er erst wieder mit Selwyn sprach, sich mit Svritsky traf oder mit Amanda stritt?
Einige Schritte vor ihm entdeckte er einen Mann, den er für einen Kollegen hielt, tief versunken in ein Gespräch mit einem anderen. Richard bog hastig in eine Gasse ab, wo ihm sogleich der saure Gestank von Urin und menschlichen Exkrementen entgegenschlug. Doch irgendwie störte ihn dieser Angriff auf seine Geruchsnerven nicht, er verzog nicht einmal das Gesicht. Er lief einfach weiter, noch immer in sich gekehrt, den Kern seines verstörten Herzens fest umklammert. Am Ende der Gasse stieß er auf eine Straße im Stadtzentrum, in der er noch nie gewesen war.
Das klackende Geräusch von Billardkugeln und die gedämpften Rufe von Männern, die offenbar Poolbillard spielten, wehten ihm aus einer Bar entgegen. Der Raum wirkte düster. Ein grünes Heineken-Reklameschild hing schräg an der Wand. Ohne darüber nachzudenken, überquerte Richard die Straße und trat durch die offen stehende Tür. Das Billardspiel wurde für einen kurzen Moment unterbrochen. Ein Mann sagte etwas in einer fremden Sprache, lachte und widmete sich dann dem nächsten Stoß.
Richard merkte, dass er der einzige Weiße in der feuchten Spelunke war. In der Luft hingen Rauch- und Aftershaveschwaden. Einige Männer saßen an der Theke und tranken. Der Barkeeper, ein Glatzkopf mit dicken Speckrollen im Nacken und herabhängenden Wangen, nickte ihm zu. Einer der Gäste nahm seine Geldbörse und sein Handy von einem Hocker. Richard setzte sich und murmelte ein Dankeschön.
»Was kann ich Ihnen bringen?«, fragte der Barkeeper, während er mit einem fadenscheinigen Geschirrtuch ein großes Bierglas abtrocknete.
»Ein Bier«, sagte Richard und betrachtete die Flaschen, die hinter der Glastür des Kühlschranks aufgereiht waren. »Eins, das nicht von hier kommt«, fügte er hinzu.
Der Mann nickte, als handelte es sich dabei um eine gewöhnliche Bitte, und holte eine kleine braune Flasche mit einem edel wirkenden rotgelben Etikett heraus, auf dem Laurentina Lager stand.
»Aus Mosambik«, erklärte der Barkeeper und stellte ein gekühltes Glas auf einen Bierdeckel vor ihm auf die Theke. Richard goss sich das Bier in einem kräftigen Strahl ein. Er beobachtete, wie die bernsteinfarbene Flüssigkeit oben eine weiße Schaumkrone bildete. Das Bier schmeckte leicht und frisch und hinterließ einen bitteren Nachgeschmack im Mund.
Der Mann neben Richard wandte sich ihm zu. »Schmeckt’s?« Er hatte eine schwere Lederjacke an, obwohl es drückend heiß war. »Kommt aus meinem Land«, fügte er hinzu. »Aus Mosambik.«
»Es ist ausgezeichnet«, erwiderte Richard. Das Bier hatte tatsächlich einen reinen, guten Geschmack, und er schämte sich dafür, dass ihn das erstaunte. Ich sollte mir auf dem Weg nach Hause eine Kiste davon kaufen, dachte er. Südafrikanisches oder importiertes europäisches Bier zu trinken, kam ihm auf einmal gewöhnlich vor.
Er strich sich mit den Fingerkuppen über die Augenlider und kehrte in Gedanken zu den sanften Berührungen von Abayomis fremden Lippen auf seiner Haut zurück. Nicht der Sex war es, wovor er Angst haben musste. Es war etwas viel Gefährlicheres. Es war diese Geste der Zuneigung, dieses verstörende Gefühl der Vertrautheit.
Er trank einen weiteren Schluck und wandte sich dann wieder an seinen Nachbarn. »Wenn Sie aus Mosambik sind, was machen Sie dann hier in Südafrika?« Die Frage klang misstrauischer,
als er es beabsichtigt hatte, und der Mann betrachtete ihn einen Moment lang skeptisch, ehe er antwortete.
»Ich komme aus Beira. Meine Familie ist noch dort. Ich musste meine Frau und meine zwei Kinder zurücklassen. Ursprünglich habe ich für eine Transportfirma gearbeitet, aber die ist Pleite gegangen. Jetzt arbeite ich hier und in Johannesburg, schicke Geld nach Hause. Dort gibt es kaum Arbeit.«
»Das muss hart sein«, meinte Richard und hoffte, nicht unglaubwürdig zu klingen.
»Es ist hart.« Der Mann nickte. Er schien Richard seine Bemerkung nicht übel zu nehmen. Nachdenklich starrte er in sein Glas. »Ja, es ist hart. Meine Frau fehlt mir, und meine Kinder sehe ich auch nie. Meine Familie will, dass ich wieder nach Hause komme. Und das will ich auch. Wir sind hier nicht willkommen. Manchmal jagt man uns einfach fort. Einigen von uns wurden sogar die Unterkünfte zerstört. Aber wir bauen sie immer wieder auf und fangen von Neuem an. Was bleibt uns auch
Weitere Kostenlose Bücher