Würde - Roman
Strahlen in seinen Augen, das glückliche Zucken seiner Lippen, wenn er zu sprechen versuchte.
Er war ruiniert. Und er war gerettet.
»Möchtest du dich duschen?«, fragte Abayomi mit einer Stimme, die ihn an warmes Öl erinnerte. Er schlug die Augen auf. Sie stand neben ihm, und dankbar sah er zu ihr auf. Die Möglichkeit eines anderen Lebens, eines Lebens mit dieser Frau - liebevoll, aufregend und ohne Lasten - kam ihm auf einmal in den Sinn, sprang ihn an wie ein Korken, der von einer Flasche gelöst wird.
»Ja, gern«, sagte er und versuchte mit seinen trockenen Lippen ein Lächeln zu formen. Er hatte Durst, allerdings nicht nach Wasser, sondern nach Alkohol. Er wollte trinken, bis seine Sinne
benebelt waren. Durfte er sie fragen, ob er sie auf einen Drink einladen könne? Doch sie trat bereits zur Seite und hielt ihm ein Handtuch hin, höflich und professionell. Die feine Balance zwischen Distanz und Zuneigung brachte ihn noch mehr aus der Fassung.
In der Dusche betrachtete er seinen Penis, der sich jetzt an sein Bein schmiegte. Fast erwartete er, irgendeine Veränderung an seinem Körper wahrzunehmen, als ob ihn diese Erfahrung physisch hätte zeichnen müssen. Es erstaunte, ja erschreckte ihn fast, dieselben weißen Beine und denselben Bauchansatz wie zuvor zu sehen. Er musste sich dringend bräunen und seine Bauchmuskeln trainieren, wenn er sie weiterhin sehen wollte. Es war aufregend, sich vorzustellen, dass es wieder einen Grund gab, an seinem Aussehen zu arbeiten. Gleichzeitig beunruhigte ihn die Tatsache, dass Amanda offenbar keinen Grund mehr für ihn darstellte.
Aber der Gedanke an seine Frau war nur flüchtig und wurde schon bald wieder von den Bildern des gerade Geschehenen vertrieben. Richard lachte leise und schüttelte den Kopf. Wie wunderbar das Leben doch sein konnte! Wie aufregend es war, in dieser großartigen Stadt zu leben! Er atmete tief durch und klatschte sich dann Hände voll flüssiger Seife auf Brust und Bauch. Was für eine herrliche Empfindung, sich wieder so lebendig zu fühlen!
Ehe er ging, reichte er Abayomi noch seine Visitenkarte. »Ich bin Anwalt«, erklärte er mit ernster Miene. »Wenn du also einmal Hilfe benötigen solltest, irgendeine Art von Hilfe … dann ruf mich einfach an. Jederzeit.« Sein Tonfall klang beinahe beschwörend, und sie legte ihm kurz die Hand auf die Schulter, als ob sie ihn beruhigen wollte.
»Danke, Richard«, sagte sie. »Ich würde gerne einmal über eine permanente Aufenthaltserlaubnis und über meinen Immigrantenstatus
mit dir sprechen. Vielleicht rufe ich dich ja tatsächlich an. Vielen Dank.«
Richards Herz schlug schneller beim bloßen Gedanken daran, aber er zwang sich, nichts weiter zu sagen. Abayomi begleitete ihn zur Haustür. Nachdem er in das helle Sonnenlicht hinausgetreten war, drehte er sich noch einmal zu ihr um. Doch sie hatte bereits die Tür geschlossen und war verschwunden. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Es war zehn nach vier. Nur eine einzige Stunde war vergangen.
Einige Minuten lang stand er orientierungslos auf der Straße. Die Gebäude, der Verkehr, der an ihm vorbeirauschte, die Leute, die vor ihm die Straße überquerten und dabei in ihr Handy sprachen - die Szene wirkte so vertraut, so gewöhnlich. Er hatte erwartet, etwas anderes zu sehen. Der Wandel in ihm kam so unvorbereitet, dass er glaubte, die Welt um ihn herum hätte sich ebenfalls verändern müssen. Wie konnte das Gebäude auf der anderen Straßenseite noch genauso aussehen wie zuvor, wenn sich seine eigene Wahrnehmung so gänzlich gewandelt hatte? Sein Körper kribbelte, und er hatte das Gefühl, als müssten ihn alle anstarren und bemerken, wie er strahlte, wie verändert er war. Seine bruchstückhaften Träumereien wurden von einem Handwerker in einem Overall unterbrochen, dem eine Zigarette aus dem Mundwinkel hing und der sich mit einem Schnauben an ihm vorbeidrängte, wobei sein Werkzeugkasten an Richards Anzug entlangstrich.
Richard begann zu laufen, sich unsicher in Richtung der Kanzlei zu bewegen, automatisch der gleichen Strecke folgend, die ihn hierher geführt hatte. Er fürchtete, dass dieses Gefühl freudiger Erregung, dieser wunderbare Aufruhr in seinem Inneren, wieder verfliegen und nie mehr wiederkehren könnte. Er wollte die berauschende Wirkung am liebsten in kleine Flaschen abfüllen und für immer behalten. Er hatte Angst, dass sie durch
den ersten Kontakt mit einem anderen Menschen beschmutzt und zerstört werden könnte.
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