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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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befreien konnte.
    Während der kommenden Tage verstand Ifasen immer deutlicher, dass die Kontrolle durch die Gefängniswärter reine Augenwischerei war. Die Wachen vermochten nur ein windiges Netz aus Regeln und Befehlen zu spannen, das jederzeit zerrissen werden konnte und auch wurde. Tatsächlich lebten die Häftlinge in einem Zustand ständiger Konkurrenz zueinander, und der einzige Versuch einer Regelung von außen bestand in einem erbärmlichen Punktesystem.

    Die Gefangenen bekamen Punkte, wenn sie ihre Mithäftlinge an die Wärter verrieten, und diese Punkte waren dann von Nutzen, wenn es darum ging, den Gefangenen vorzeitig zu entlassen. Es gab verschiedene Kategorien von Informationen, die jeweils mit einer unterschiedlichen Punktzahl bewertet wurden. Wenn man zum Beispiel verriet, wo eine gefährliche Waffe versteckt wurde, bekam man eine bestimmte Anzahl an Punkten. Eine andere Punktzahl war dafür vorgesehen, wenn Drogen durch einen internen Hinweis sichergestellt werden konnten. Aber die Häftlinge handelten genauso selbstverständlich mit den errungenen Punkten wie mit jeder anderen Ware.
    Man bezahlte die Wachen dafür, dass sie Munition ins Gefängnis schmuggelten. Diese Kugeln wurden wiederum gegen Zigaretten eingetauscht. Für die Punkte, die ein Informant bekäme, hätte er den Besitzer der Munition verraten, erhielt er Crystal Meth. Die Information über das Crystal Meth wurde gegen Crack eingewechselt. Auf diese Weise erschuf das Punktesystem eine stabile Basis für einen stetigen Handel und untergrub so letztlich die eigentliche Absicht.
    Die Wachen vermieden es sowieso, die Häftlinge gegen sich aufzubringen. Sie verbrachten ihre Tage vielmehr damit, die Männer bei Laune zu halten. Es war einfacher, ihnen heimlich einen Gefallen zu erweisen, als sich mit verzweifelten Gefangenen auseinanderzusetzen und Disziplin zu wahren. Allein die Tatsache, dass die Wärter vor allem eine ruhige Schicht verbringen und sich keinem unnötigen Stress aussetzen wollten, machte sie bestechlich. Sobald dann einer von ihnen die Grenze zur Bestechlichkeit überschritten hatte, wurde es mit jedem Mal einfacher, ihn mit neuen Versprechungen oder Belohnungen zu locken und zu bestechen.
    Ifasens Sektion wurde nicht einmal von einem Wärter, sondern von einem furchterregenden Mann kontrolliert, der seit
einem Jahr auf seine Verhandlung wegen Mordes in zwei Fällen wartete. Er patrouillierte mit zwei Handlangern durch die Gänge und brüllte seine Befehle. Die Wachen akzeptierten seine Führerposition ohne Murren, als wären auch sie seiner Autorität unterstellt.
    In Ifasens Zelle herrschten zudem zwei Banden. Ihnen rechnete man - scheinbar willkürlich - eine immer wieder unterschiedliche Anzahl von Mitgliedern zu, die dennoch stets genau wussten, wie die Regeln der jeweiligen Gruppe funktionierten. Die Banden besprachen sich laut in der Zelle und diskutierten ihre Pläne oft dreist in Hörweite ihrer Konkurrenten. Manchmal schienen die verfeindeten Gruppen zusammenzuarbeiten, doch es kam auch immer wieder zu heftigen Kämpfen.
    Am dritten Abend kamen zwei Insassen wegen verschwundener Zigaretten in Streit. Ifasen beobachtete, wie sich die Gruppen formierten - zwei gegnerische Armeen, bereit zum Angriff. Ihm war klar, dass die Auseinandersetzung künstlich herbeigeführt worden war, um die angespannte Stimmung, die sich schon seit einiger Zeit angestaut hatte, endlich zum Ausbruch zu bringen. Er legte sich auf seine Matratze, das Gesicht zur Wand, um zu vermeiden, Zeuge dieses Kampfes zu werden.
    Die Stimmen der Männer wurden stetig lauter und schriller. Er hörte, wie Körper aufeinanderprallten, auf den Boden geworfen wurden, wie Fäuste ihr Ziel trafen. Die Gewaltbereitschaft nahm spürbar zu. Die Häftlinge attackierten immer heftiger, rangen nach Atem, und schon bald herrschte eine Atmosphäre blutrünstigen Hasses in der Zelle.
    Dann war es auf einmal totenstill. Kurz darauf hörte Ifasen das überraschte Gurgeln eines Mannes, der mit dem Rücken gegen die Tür knallte, wobei er mit den Füßen über Ifasen stolperte. Er drehte sich entsetzt um. Der Mann stand keuchend da, seine Schultern gegen die Metallstäbe des Gitters gedrückt.

    Der Kopf einer türkisblauen Zahnbürste ragte aus seinem linken Auge. Der Großteil des Griffs war in die Höhle gerammt worden, so dass nur noch der Kopf hervorsah, die Borsten vom vielen Benutzen zur Seite gedrückt.
    Der Mann wirkte verblüfft. Er hielt die Hand vor sein Kinn,

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