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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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damit abgefunden, dass Obasanjos brutale Herrschaft ewig so weitergehen würde.
    Ifasen erinnerte sich an eine Rede, in der Yar’Adua Präsident Obasanjo als »Umooru«, also als Vater, bezeichnet hatte. »Deutlicher geht es ja kaum«, hatte er seinen Freunden erklärt. »Er ist nur ein Strohmann, der dem Westen vorgaukeln soll, dass wir in Nigeria die Demokratie hochhalten. So ein Humbug!«
    »Hochhalten ist gut«, hatte Olinke grinsend erwidert. »Am Nacken wird sie hochgehalten, während Obasanjo einen weiteren Speer in ihr Herz rammt.«
    »Und so etwas bringst du deinen Schülern bei?«, wollte Idowu wissen, ein empfindsamer junger Mann mit schwermütigem Blick. Er war jünger als die anderen und hatte erst kurz zuvor mit dem Unterrichten begonnen. Seine Ernsthaftigkeit entlarvte immer wieder das recht wackelige Selbstverständnis der anderen als Intellektuelle.
    Olinke lachte über die Frage. »Idowu, es gibt Dinge, die wir denken, und Dinge, die wir laut aussprechen. Das ist nicht dasselbe. Es beunruhigt mich, dass du den Unterschied nicht zu kennen scheinst. Du musst aufpassen, mein Freund, sonst werden
deine offenen Worte eines Tages noch eine Schlinge um deinen Hals legen.«
    Olinkes Warnung sollte sich als prophetisch herausstellen. Die Monate vergingen, und immer häufiger waren die Zeitungen voll von Nachrichten über erneute Kämpfe zwischen Muslimen und Christen im Süden des Landes, über den neuerlichen Ausbruch der traditionellen Feindschaft zwischen Tivs und Fulanis. Idowu vermochte mit seiner Meinung über die Intoleranz zwischen den Völkern und das Versagen des Staates, endlich ein vereintes Nigeria aufzubauen, nicht hinter dem Berg zu halten. Durch sein Studium war er mit linksgerichteter Politik in Kontakt gekommen und hatte - wie es so seine Art war - seine Gedanken und Überlegungen freimütig all denjenigen mitgeteilt, die ihm zuhörten.
    Eines Abends auf seinem Nachhauseweg durch Hintergassen und kleine Straßen lauerten ihm mehrere Männer auf. Ohne lange zu verhandeln, prügelten sie Idowu zu Tode. Erst am folgenden Morgen fand man seinen Leichnam. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits die Krähen versammelt. Ifasen dachte an das bescheidene Begräbnis, bei dem man zwei Milizionäre wegjagen musste, die wie hungrige Schakale um die Gruppe der Trauernden gekreist waren.
    Der ebenfalls recht freimütige Olinke hatte mehr Glück gehabt. Obwohl auch seine Bemerkungen im Unterricht den zuständigen Behörden zu Ohren kamen, verlor er nur seine Stellung und nicht sein Leben. Nach Monaten der Schikane durch die Miliz musste er jedoch schließlich die Provinz verlassen. Ifasen hatte erfolglos versucht, ihn ausfindig zu machen. Er wusste nur, dass sein Freund nach Frankreich geflohen war. Vielleicht hat Olinke dort seinen Frieden gefunden, dachte er jetzt. Die Unfähigkeit seines Landes, die ständig schwelenden Konflikte zwischen den Volksgruppen in den Griff zu bekommen, ließ ihn auch nun wieder vor Wut und Enttäuschung am ganzen Körper zittern.

    Dennoch sehnte sich Ifasen danach, wieder nach Nigeria zurückzukehren. Wie viel erträglicher wäre es gewesen, die Tragödie seines eigenen Volkes mitzuerleben, als sich dem unmenschlichen Hass auszusetzen, mit dem er sich hier tagtäglich konfrontiert sah. Es war nicht so, als ob er in Südafrika eine eindeutige Zielscheibe abgab. Er wurde vielmehr einfach nicht bemerkt und so das Opfer einer umfassenden, willkürlicheren Malaise. Seine Zerstörung würde nichts anderes als der unbeabsichtigte Nebeneffekt allgemeiner Feindseligkeit sein. Jederzeit konnte er von einem Strudel achtloser Bösartigkeit fortgerissen werden.
    Der Mann neben ihm regte sich und rückte Ifasen unangenehm nah auf den Leib. Sein Körper verbreitete eine schmutzige Wärme. Ifasen wurde auf einmal bewusst, wie einsam er sich fühlte - und das, obwohl er sich inmitten von Menschen befand. Das Paradox der Einsamkeit in der Menge kam ihm beinahe unerträglich vor, wie eine fortwährende Bestrafung, die sich still und qualvoll in seinem Inneren ausbreitete. Und dieses Paradox reichte weiter: Auch wenn der Freitod der nächste logische Schritt gewesen wäre, um der Hölle des Gefängnisses zu entrinnen, so war es doch nicht möglich, sich in der Gegenwart der vielen anderen etwas anzutun. Außerdem war Ifasen viel zu sehr mit dem stündlichen Überleben beschäftigt, um eine Gelegenheit dazu abpassen zu können. Es war eine arglistige Art der Folter, aus der er sich nicht

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