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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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immer weiter nach oben,
bis seine Zehen kaum mehr den Boden berührten. Auf einmal sackten Sokkies’ Schultern nach unten - ein eindeutiges Signal, dass er sich geschlagen gab.
    Der große Kerl ließ ihn daraufhin herunter und lockerte seinen Griff, was Sokkies aber nur dazu veranlasste, sofort wieder um sich zu schlagen, ehe ein heftiger Hustenanfall schließlich jegliche Gegenwehr von seiner Seite beendete. Er rang nach Luft und beugte sich vor, um leichter atmen zu können. Mit dem Hemd vor dem Mund zog er sich in seine Ecke der Zelle zurück, wobei sich sein Brustkorb derart stark hob und senkte, als müsste sich der Mann jeden Moment übergeben. Ein anderer Insasse fluchte und stieß ihn beiseite, wodurch Sokkies über eine Matratze stolperte und gegen die Wand knallte.
    »Schlaf da drüben«, sagte der große Mann zu Ifasen und zeigte auf einen schmalen Streifen hinter der Tür. Ifasen nickte und versuchte abzuschätzen, ob er in dem Kerl einen Verbündeten hatte. Doch da er nichts weiter hinzufügte, rollte Ifasen nur schweigend seine Matratze auf und setzte sich hin, bemüht, niemandem in die Augen zu sehen.
    Der Häftling zu seiner Rechten saß so eng neben ihm, dass sich ihre Schultern beinahe berührten. Ifasen stieg ein schlechter, eitrig riechender Mundgeruch in die Nase. Er wünschte sich, der Mann würde den Kopf abwenden, was dieser jedoch nicht tat. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Decke zu einem Kissen zusammenzuknüllen und sich angezogen der Länge nach hinzulegen, wobei er das Gesicht zur Wand drehte.
    Er versuchte, jeglichen Gedanken an Abayomi oder Khalifah zu verdrängen, weil er befürchtete, sonst in Tränen auszubrechen. Weinen wäre in seiner Situation einer Katastrophe gleichgekommen. Weinen würde ihn als leichtes Opfer markieren. Man würde ihn seiner Kleidung und seiner sonstigen Besitztümer berauben. Die Mächtigen unter den Insassen würden ihn
misshandeln, um ihn dann den Rangniederen zu überlassen. Er würde zu ihrer Gliederpuppe werden.
    Ifasen begann leise vor sich hin zu summen. Er gab sich die größte Mühe, seine Umgebung nicht wahrzunehmen, und wiederholte deshalb immer wieder den Refrain eines Afrobeat-Songs von Fela Kuti, der in seiner verspielten Mischung aus traditionellen Yoruba-Gesängen und Jazz in Ifasens frühen Tagen als Lehrer sehr beliebt gewesen war. Ifasen erinnerte sich noch gut an das erste Mal, als er den Song in einem Café mit seinen Freunden gehört hatte. Sie hatten in ihrem Gespräch innegehalten und der Melodie gelauscht, die durch kleine Lautsprecher an der Decke gedrungen war.
    Er fragte sich, was wohl aus seinen Freunden geworden war. Fanden auch sie sich eingeschlossen in einer Ecke der Hölle wieder wie er? Olinke und seine Familie, Idowu … Wo waren sie alle? Von Idowus Verbleib wusste er - aber die anderen? Was hatte das Schicksal ihnen wohl beschert?
    Beim Gedanken an Olinke musste er lächeln. Die Begeisterung des Englischlehrers für Chinua Achebe hatte die Freunde immer wieder belustigt. »Bei dir ist alles Achebe. Achebe hat dies gesagt, Achebe hat das geschrieben«, hatten Ifasen und die anderen gescherzt. »Und wie steht es mit Soyinka oder Okri? Oder mit der Erinnerung an Saro-Wiwa? Liegt deine Begeisterung für Achebe vielleicht daran, dass ihn die Kolonialisten mochten? Das Alte stürzt … Allein der Titel passt doch ausgezeichnet zu dem Bild, das sich die Weißen von Afrika machen.«
    »Okri!«, hatte Olinke bei der bloßen Erwähnung des Namens empört in sein Bier geprustet. »Wäre dieser Mann überhaupt noch in der Lage, den Weg nach Enugu oder Abuja zu finden? Ich glaube kaum, dass ihn die Londoner U-Bahn dorthin bringt. Wenn ihr schon von kolonialen Schoßhunden redet, dann solltet ihr lieber mit ihm anfangen.«

    Ifasen und die Freunde hatten ihm lachend widersprochen und eine weitere Runde Bier bestellt. Sie hatten über Literatur diskutiert, über die ethnischen Konflikte, die das Land heimsuchten, und über die herrschende Politik. Dabei hatten sie in Zucker getauchtes Puff Puff, Suya -Kebab und Erdnüsse gegessen, deren Schalen sich allmählich in kleinen Haufen neben den Bier- und Saftflaschen sammelten.
    Wenn sich die Unterhaltung dem Thema Politik zuwandte, wurden ihre Stimmen stets leiser. Präsident Umaru Yar’Adua von der People’s Democratic Party hatte in den letzten Wahlen, die allgemein als abgekartetes Spiel galten, den Sieg über Obasanjo errungen. Die Nigerianer hatten sich damals bereits

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