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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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das Gesicht der Frau blieb ausdruckslos. Er wartete darauf, dass der Richter beim schrillen Verlesen der Anklage lachte, aber dieser zeigte sich völlig ungerührt. Er wandte Ifasen seine Aufmerksamkeit zu. »Also, Mr Obeyi. Obedienz gehört vermutlich nicht zu Ihren Stärken, oder?«
    Die Staatsanwältin lächelte vor sich hin. Ifasen runzelte die Stirn. Er war sich nicht sicher, was der Richter mit dieser Bemerkung meinte.
    »Mr Obeyi, Sie haben keinen Anwalt, der Sie vertritt, nicht wahr?«, fuhr der Richter fort.
    Ifasen sah sich erneut im Raum um. Doch die Zuschauerschaft war dieselbe geblieben.
    »Nach vorn, bitte, Mr Obeyi!« Wieder erhob der Richter wütend seine Stimme. Ifasen verlor beinahe das Gleichgewicht, so schnell drehte er sich um.
    »Nein, Sir. Offenbar habe ich keinen Anwalt.« Ifasen verschränkte die Hände hinter dem Rücken, um ernster zu wirken. Er stand jetzt wie ein aufrechter Soldat in seiner Bank.
    »Das stellt für dieses Gericht keine Überraschung dar.« Der Richter kritzelte etwas auf die Papiere, die vor ihm lagen. »Nun gut, Mr Obeyi. Ihnen werden ernste Vergehen zur Last gelegt - Vergehen, mit denen wir in diesem Gericht ständig zu tun haben. Wie auch immer … Jedenfalls müssen Sie sich heute noch nicht dazu äußern. Ihnen wird die Gelegenheit gegeben, sich einen Anwalt zu suchen, der Sie vertritt. Ich vermute, dass Sie jetzt eine Kaution bewilligt bekommen möchten?«
    Ifasen nickte.
    »Nun gut«, fuhr der Richter gelassen fort. »Wo wohnen Sie?«

    Ehe Ifasen antworten konnte, schrillte die Stimme der Staatsanwältin in seinen Ohren. »Die angegebene Adresse, Euer Ehren, lautet: Wohnung sechshundertfünf, Marconi Flats, Main Road, Sea Point. Keine feste Anstellung.«
    Ifasen sah zuerst sie und dann den Richter an.
    »Und?« Ungeduldig klopfte der Richter auf die Tischplatte.
    »Das stimmt.« Ifasen wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Er öffnete den Mund, um noch etwas hinzuzufügen. Er wollte erklären, wer er war, wieso er als Flüchtling in einem fremden Land lebte, dass er einen Sohn und eine Frau hatte und dass er diese Frau sehr liebte. Doch die sterile Umgebung des Gerichtssaals ließ keinen Raum für solche Dinge. Er fürchtete, dass diese persönlichen Dinge im selben Moment, in dem er sie preisgab, unwiderruflich zerstört werden könnten. Er schloss also wieder den Mund und trat nervös von einem Fuß auf den anderen.
    »Und? Was verdienen Sie so durchschnittlich?«
    Wieder runzelte Ifasen verständnislos die Stirn.
    »Wie viel Geld bringen Sie nach Hause?«, wiederholte der Richter seine Frage, wobei er jedes Wort betont langsam aussprach.
    »Ich bin Lehrer. Geboren und aufgewachsen in Kano. Dann habe ich in einer Schule in Lagos unterrichtet und danach in Ab …«
    »Mr Obeyi, es interessiert mich nicht im Geringsten, was Sie gemacht haben, ehe Sie unserem schönen Land die Ehre erwiesen. Selbst wenn Sie der König von England gewesen sein sollten, so ist mir das völlig gleichgültig.«
    Wieder lächelte die Staatsanwältin verstohlen und starrte dabei auf ihren Schoß. Ifasen verspürte das Bedürfnis, den Richter auf ihre Respektlosigkeit hinzuweisen. Doch dieser wirkte sowieso schon gelangweilt und gereizt.
    »Ich möchte einfach nur wissen, wie viel und womit Sie in
diesem Land Ihr Geld verdienen, außer durch den Verkauf von Drogen.«
    »Ich verkaufe Spielzeug und andere Dinge am Straßenrand«, erwiderte Ifasen. »Und ich verkaufe keine Drogen«, fügte er beherzt hinzu.
    Eigentlich hätte er hinzufügen müssen, dass seine Frau zehn Mal so viel Geld wie er nach Hause brachte und dass sie ein gesichertes Einkommen hatte. Aber wie sollte er erklären, was sie tat? Wie sollte er die diffusen Machenschaften und die Übergriffe schildern, die ihnen ihr wöchentliches Einkommen sicherten, ihnen das Essen auf den Tisch brachten und für die Windeln ihres Kindes bezahlten? Wie konnte er seinen Stolz auf seine Frau in Worte fassen ebenso wie seine tägliche Demütigung, wenn er sie nachts eng an sich drückte und versuchte, nicht daran zu denken, was der vergangene Tag mit ihrem Körper gemacht hatte?
    Ifasen blickte zum Richter auf. Tränen brannten ihm in den Augen.
    »Nun«, meinte der Mann vor ihm kalt. »Sonderlich beeindruckend ist das alles nicht. Sie verkaufen also Ramsch an der Straße. Sie haben keine feste Anstellung. Ihr Wohnsitz befindet sich in einem heruntergekommenen Block in Sea Point, der für seine Drogendealereien berüchtigt ist. Haben Sie

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