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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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fragte Richard.
    Der Mann lehnte sich zum ersten Mal zu Richard hinüber und sah ihn aufmerksam an. »Nein, ganz im Gegenteil. Auch ein Militär oder ein Diktator an der Spitze haben sich noch nie als visionär erwiesen. Die sind noch selbstsüchtiger und skrupelloser, wenn es darum geht, Macht zu behalten. Zwang und Gewalt formen auch keine Nation. Wir wollen einen föderalen Staat. Aber keinen föderalen Staat Nigeria, sondern ein föderales Afrika.«
    Während Igbo redete, stellte zu Richards Überraschung ein weiterer Mann einen Stuhl neben Abayomi und setzte sich zwischen sie und Sunday. Er hatte ein hartes Gesicht mit weißlich gelben Pusteln, die über seinen Hals verliefen. Er sprach kein Wort, doch Richard bemerkte, wie sich Abayomi und Sunday anspannten und ihre Bierflaschen in die Mitte des Tisches schoben.
    » Arrange yua sef «, murmelte Sunday leise.
    Nur Igbo schien den Neuankömmling nicht zu bemerken. Oder vielleicht interessierte er sich einfach nicht für ihn, da er viel zu sehr in seine Rede vertieft war. »Nur Afrika kann unsere Interessen vertreten, die Interessen all derer, die auf diesem Kontinent leben. Nationalstaaten sind koloniale Gebilde, und je schneller wir sie loswerden, desto zufriedener werden unsere Leute sein.«
    »Die afrikanische Nation«, sinnierte Abayomi. In Richards Ohren klang sie ein wenig spöttisch, aber auch nervös. »Ich bin Mutter Afrika. Ich bin das, was euch Männer zusammenhält. Schaut nur, wie ihr hier alle vor mir um diesen Tisch sitzt.« Sie
nahm einen großen Schluck, während Sunday neben ihr kicherte.
    Der Neuankömmling schlug blitzschnell zu. Er traf Sunday mit dem Handrücken neben dessen Mund. Sunday ging durch den Schlag zu Boden, sein Stuhl stürzte laut krachend um. Einige der anderen Gäste warfen einen Blick in die Richtung, aus welcher der Lärm kam, drehten sich dann aber rasch wieder weg. Richard war instinktiv aufgesprungen, die Fäuste geballt. Doch der Angreifer zeigte sich nicht im Geringsten an ihm interessiert, und auch Sunday schien ihn offenbar nicht weiter zu kümmern. Er starrte vielmehr Abayomi mit einem kalten, langen Blick an.
    Selbst Igbo hatte es für einen Moment die Sprache verschlagen. »In der nigerianischen Folklore gibt es die Geschichte von Moremi aus Ile-Ife«, erzählte er dann mit ruhiger Stimme weiter, als ob nichts geschehen wäre. »Es heißt, dass die schöne Moremi Männer verführt hat, die ihr Volk bedrohten, indem sie ihren unwiderstehlichen weiblichen Charme einsetzte. Im Bett erfuhr sie dann von ihren Plänen und Geheimnissen. Sie glitt zwischen den Laken hervor und eilte sogleich zu ihren Leuten, um ihnen mitzuteilen, was sie erfahren hatte, so dass diese ihre Feinde besiegen konnten. Wie man daran sieht, bestimmen unsere verschiedenartigen Kulturen die Art, wie wir uns verhalten. Mandla hier zum Beispiel …« Er wies auf den Mann ihm gegenüber, der Abayomi noch immer nicht aus den Augen ließ. »… Mandla stammt aus deiner Nation oder was ihr dafür haltet. Mandla ist ermüdend ungebildet. Ich bezweifle, dass er jemals eine Schule besucht hat. Oder, Mandla? Aber wie man sehen kann, ist er auf seine Weise sehr effektiv.«
    Richard erwartete, dass Mandla diese Bemerkung nicht auf sich sitzen lassen würde. Doch zu seiner Überraschung wandte der Mann auch jetzt noch nicht den Blick von Abayomi. War er
ein eifersüchtiger Liebhaber? Oder vielleicht sogar ein Kunde? Allmählich begann er zu ahnen, in welcher Welt sich Abayomi bewegte.
    Sie erwiderte Mandlas Blick für eine Weile, ehe sie nachgab und vor sich auf den Tisch starrte. Richard fiel nichts ein, was er hätte sagen können, um die angespannte Stille zu durchbrechen. Sunday stand mühsam vom Boden auf und trat den umgestoßenen Stuhl beiseite. Er kehrte nicht an den Tisch zurück, sondern hielt sich den Mund und humpelte durch die jubelnde Menge davon, die noch immer das Fußballspiel ansah. Nach einer längeren Pause sah Abayomi erneut auf und blickte den finsteren Mandla an. Ihre Augen waren geweitet, und Richard glaubte, Tränen in ihnen zu erkennen.
    »Tut mir leid«, sagte sie zu Mandla. »Ich bin nicht Mutter Afrika. Ich bin nichts weiter als eine Sklavin. Verzeih mir meine dumme Bemerkung.« Sie hielt einen Moment lang inne, ehe sie fortfuhr, wobei sie ihn noch immer ansah. »Ich werde dich morgen besuchen.«
    »Ja, das denke ich auch«, erwiderte Mandla schleppend, als wäre er betrunken. »Ich erwarte dich. Um elf.« Er nahm Sundays Flasche

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