Wuestenmond
Körpergeruch des jungen Mannes einzuatmen, der noch in dem Stoff haftete. Plötzlich erhoben sich beide; ich sah ihnen nach, wie sie sich ohne Hast entfernten. Hinani hatte ihren Aleschu tief über ihre Stirn gezogen; ihr Schlüsselbund funkelte auf der Hüfte. Kenan ging lautlos einen halben Schritt hinter ihr her. Verträumt schloß ich die Augen; im selben Moment hörte ich ein leises Geräusch, ein Stoffrascheln, und als ich die Lider hob, saß Elias dicht neben mir.
Im Halbdunkel waren seine Augen nur ein leuchtender Spalt, und ich hörte ihn atmen.
Eine Zeitlang blieben wir stumm und bewegten uns nicht, ganz erfüllt von dem Gefühl, einander nahe und vertraut zu spüren. Dann legte ich die Hand auf den Tendi, schlug leise auf das Trommelfell.
In Elias’ Augenwinkeln zeigten sich Fältchen. Er nahm meine Hand, gab den Rhythmus an, indem er mit sanftem Druck meine Finger führte. Eine Weile schlugen wir abwechselnd die Trommel und spürten verzaubert, wie unter unseren Händen die Töne pulsierend vibrierten.
»Das ist die Spielregel«, sagte Elias. »Beim Iljugan gilt es, den Schleier einer Frau zu erbeuten. Will die Frau das Pfand zurückhaben, schuldet sie dem Mann eine Liebesnacht.«
Ich strich mein zerzaustes Haar aus der Stirn.
»Und wie läßt sie ihn abblitzen?«
Er warf den Kopf zurück und lachte.
»Ganz einfach, indem sie ihr Tuch gut festknotet.«
»Das hat mir keine gesagt.«
»Nein?«
Elias’ Lachen verschwand. Er seufzte.
»Kenans Stellungsbefehl ist gekommen. Er soll in zwei Tagen einrücken. Aber er wollte den Iljugan nicht verpassen. Jetzt wird 339
man ihm eine gesalzene Strafe aufbrummen.«
»Kommt er tatsächlich ins Gefängnis?«
»Schätze, ja. So sind wir Tuareg eben. Eine Frau ist uns wichtiger als das Militär. Warum sollen wir im Staub kriechen für Leute, die uns Arabisch aufzwingen und im Norden ihre Perversionen an der Bevölkerung auslassen?«
Der Abendhimmel leuchtete nicht mehr rot, sondern war nun von einem Opalschimmer überzogen, und als ich aufs neue zur Sonne hinschaute, hatte sich der Flammenkreis in eine purpurne Kugel verwandelt. Wie ein Traumbild schwebte sie genau dort, wo Himmel und Hochtal sich trafen. Elias legte sein Gesicht an meine Schulter, fuhr mit der Zungenspitze über meinen Hals, die Schlagader entlang.
»Nun?« flüsterte er. »Willst du deinen Schal wieder?«
»Gib ihn her!« wisperte ich rauh. »Er gehört ja Torha.«
Er zog mich an sich, hob mich mit einer Armbewegung hoch und stand im selben Augenblick auf den Füßen. Eng umschlungen wanderten wir durch die Dämmerung. Plötzlich blieb Elias stehen und streckte den Arm aus.
»Sieh nur!«
Ein silberner Streifen erschien am Rande der Felswand, blitzte auf wie ein Edelstein und überzog den Himmel mit schimmerndem Leuchten. Immer heller und breiter entfaltete sich die weiße Aura –
der Vollmond wurde langsam aus der Finsternis geboren, stieg in geisterhaftem Glanz am Himmel empor. Und für einen magischen Augenblick unterbrachen beide Gestirne ihren Lauf. Sie hatten den gleichen Umfang, die gleiche Größe, doch das Gleichgewicht währte nur einen Augenblick lang; die rote Kugel schrumpfte zusammen, wurde klein, noch kleiner, ließ sich fiebrig in dunkle Tiefen gleiten, während der Mond von seinem Reich Besitz nahm.
»Sonne und Mond«, flüsterte Elias heiser. »Sie sehen sich, aber sie kommen nicht zusammen. Zwischen ihnen liegt auf ewig die Weite des Himmels…«
Ich drückte seine Hand.
»Zwischen uns nicht, Elias.«
»Nein. Wir kennen die Brücken.«
In einiger Entfernung hoben sich Felsen schwarz vom Nachthimmel ab. Dorthin führte mich Elias, strich mit der Reitgerte über den Sand, die übliche Geste der Vorsicht. Dann nahm er seinen Umhang von den Schultern und breitete ihn auf dem Boden aus. Mit der gewohnten Geste, die ich so an ihm liebte, umschloß er mit beiden 340
Händen meine Taille und kauerte sich mit einem einzigen Schwung mit mir nieder. Ich knotete meine Turnschuhe auf, streifte die Socken von meinen Füßen. Dann strich ich den Stoff aus Elias’
Stirn, befreite ihn von seinem Schesch. Er lächelte, schüttelte sein Haar, bewegte leicht den Kopf hin und her. Das kräftige Haar fiel über mein Gesicht. Als ich hineingriff, füllte es beide Hände.
»Wir wissen, welche Möglichkeiten wir haben«, sagte ich. »Wir sind Spezialisten.«
Er knabberte sanft an meinen Fingerspitzen.
»Das glaub’ ich auch. Auf irgendeinem seltsamen Weg hat uns das Leben
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