Wuestentochter
steckte ein kleiner Goldstift, und verschlungene, rankenähnliche Muster zierten ihre Stirn und ihre Wangen.
»Wie lange bin ich schon hier?«, erkundigte sich Khalidah, nachdem sie all diese Einzelheiten in sich aufgenommen hatte.
»Zwei Nächte und einen Tag.«
»Und ich habe die ganze Zeit geschlafen?«, entfuhr es Khalidah entsetzt.
»Man hat dir einen Schlaftrunk gegeben«, erklärte Abi Gul. »Gleich in der ersten Nacht nach deinem Traum. Tor Gul Khan hielt es für das Beste. Du warst am Ende deiner Kräfte.«
Khalidah erschauerte, als sie an das blutige Schlachtfeld, den einzelnen, um sein Leben kämpfenden fränkischen Ritter und den hübschen muslimischen Jungen zurückdachte, der ihm den tödlichen Streich versetzt hatte. »Wo ist Sulayman?«, fragte sie dann.
Abi Guls Augen funkelten; sie schien mühsam ein Lächeln zu unterdrücken. »Mach dir keine Sorgen - dein Mann ist in Sicherheit.«
»Mein Mann?«
»Wusstest du«, fuhr Abi Gul fort, dabei beugte sie sich verschwörerisch vor, obwohl niemand sonst in der Nähe war, »dass Zhalai gestern Abend ihre liebe Not mit ihm hatte?«
»Zhalai?«
»Unsere Hausmutter. Du hast die erste Nacht in Tor Gul Khans Haus verbracht, dann hat man dich hierhergebracht. Natürlich ist nur Frauen der Zutritt zu diesem Raum gestattet, aber Sulayman platzte trotzdem hier herein und sagte, er würde dir nicht von der Seite weichen, komme, was wolle.« Sie lachte glockenhell auf. »Du hättest ihn sehen sollen! Er und Zhalai standen sich in der Mitte des Raumes gegenüber wie Kampfhähne, und alle Mädchen quiekten und kreischten, weil ein Mann in unserem Schlafsaal war.« Khalidah dankte insgeheim ihrem Schöpfer dafür, dass sie die ganze Szene verschlafen hatte. »Am Ende warf Zhalai ihn fast gewaltsam hinaus, und seitdem sitzt er draußen vor der Tür, hat nicht einen Moment geschlafen … wirklich, ich habe noch nie einen Mann gesehen, der wegen einer Frau einen solchen Aufstand macht - warte! Du kannst so nicht hinausgehen, du bist nicht angemessen angezogen!«
In der Tat stellte Khalidah, als sie aufstand, fest, dass sie außer einem Leinenhemd nichts am Leibe trug, doch in Bezug auf Sulayman hatte sie den größten Teil ihrer Schamgefühle ohnehin schon abgelegt. Sie stieß die Tür auf und sah ihn vor dem Hintergrund mächtiger Berge im Gras sitzen. Als er sie sah, sprang er auf. Sein Gesicht wirkte eingefallen, und unter seinen blutunterlaufenen Augen lagen dunkle Schatten.
»Khalidah!«, rief er, als sie sich in seine Arme warf, und dann klammerten sie sich aneinander, als wären sie Jahre und nicht nur wenige Tage getrennt gewesen. Nach einer Weile hielt er sie auf Armeslänge von sich ab. »Geht es dir gut? Nach deinem Alptraum hat Tor Gul Khan dir einen Trank eingeflößt; er meinte, er würde dir helfen, ruhig durchzuschlafen - aber doch nicht einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang! Wenn ich nicht so großes Vertrauen zu ihm hätte …«
»Also wirklich!«, schimpfte Abi Gul, die Khalidah nachgelaufen war. Sie stemmte die Hände in die Hüften wie eine aufgebrachte Kinderfrau, die sich anschickt, ihre ungezogenen Schützlinge auszuschelten. »Zhalai würde mir den Kopf abreißen, wenn sie wüsste, dass ich dich halb nackt ins Freie gelassen habe. Bitte komm ins Haus, Bibi Khalidah, und zieh dir etwas an, bevor dich jemand sieht.«
Khalidah sah Sulayman fragend an. »Keine Angst«, versicherte er ihr. »Ich rühre mich nicht von der Stelle.«
Abi Gul schüttelte den Kopf. »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, murmelte sie, doch in ihre Augen war ein wehmütiger Ausdruck getreten. Dann nahm sie Khalidah am Arm und führte sie in den Schlafsaal zurück.
Eine halbe Stunde später war Khalidah wie Abi Gul in ein weiches Gewand und Hosen gekleidet, hatte sich eine blaue Schärpe um die Taille geschlungen und ihre alten, zerfetzten Sandalen durch neue ersetzt. Abi Gul kämmte ihr schmutziges, wirres Haar und beklagte bitterlich, dass ihr nicht genug Zeit blieb, um es zu waschen, dann flocht sie es und frisierte es so, wie sie ihr eigenes trug.
»So«, verkündete sie, als sie fertig war, und hielt Khalidah ein kleines Stück poliertes Metall hin. Als Khalidah ihr Spiegelbild betrachtete, erkannte sie sich kaum wieder. Ihre Wangen waren eingefallen, sodass ihr Gesicht länglicher wirkte, aber die Veränderung ging noch tiefer. Sie konnte es nicht beschreiben; sie erkannte nur erstmals Züge von Brekhna in ihren eigenen. Aber da Abi Gul auf
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