Wuestentochter
ihr Urteil wartete, nickte sie anerkennend.
Abi Gul lächelte. »Dann lass uns gehen.« Sie führte Khaldiah wieder nach draußen, wo Sulayman schon ungeduldig auf sie wartete.
Er blinzelte überrascht, als er ihre neue Frisur bemerkte, dann verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. »Steht dir gut«, lobte er.
»Tor Gul Khan sagt, du kannst dich tagsüber in aller Ruhe hier umsehen«, teilte Abi Gul ihr mit. »Bei Sonnenuntergang beginnt dann das psarlay-Fest.«
»Psarlay?«, wiederholte Khalidah verwirrt.
»Wie heißt das in eurer Sprache doch gleich … ach ja, ›Frühling‹. Wir feiern zu Ehren einer jeden Jahreszeit ein Fest, aber psarlay ist das bei weitem fröhlichste. Sulayman kann dir davon erzählen.«
Khalidah erstarrte angesichts des vertraulichen Tones und warf Sulayman einen argwöhnischen Blick zu.
»Mein letzter Besuch hier fiel zufällig mit dem psarlay-Fest zusammen«, erklärte er.
Abi Gul nickte. »Jetzt muss ich euch leider allein lassen. Wenn du irgendetwas brauchst, Khalidah, kannst du dich an jeden wenden, der dir begegnet - sie werden sich alle freuen, dir behilflich zu sein.«
Khalidah fragte sich, ob dem tatsächlich so war oder ob Abi Gul nur höflich sein wollte - die Leute hier standen Brekhnas Tochter vermutlich mit gemischten Gefühlen gegenüber. Aber sie dankte dem Mädchen, woraufhin Abi Gul lächelte, ihr noch einmal zunickte und dann zum Schlafsaal zurücktrottete.
»Du bist müde, Sulayman«, stellte Khalidah fest, sowie sie außer Hörweite war. »Und ich finde mich auch allein zurecht.«
Er berührte lächelnd ihre Hand. »Ich möchte dich aber begleiten.«
»Gut.«
»Aber wenn du lieber allein sein möchtest …«
»Ich habe nur versucht, Rücksicht zu nehmen. Hast du immer noch nicht begriffen, dass ich nicht anderen Leuten zuliebe lüge?«
Er lachte. »Anscheinend nicht, obwohl du mir genug Gelegenheiten dazu gegeben hast. Wo möchtest du denn jetzt zuerst hin?«
»Ich möchte nach Zahirah sehen.«
Sulayman seufzte. »Warum habe ich überhaupt gefragt?«
Als sie zum Fluss hinunterschlenderten, nahm Khalidah ihre Umgebung zum ersten Mal bewusst wahr. Alles sah genauso aus wie in ihrem Traum: Schimmernde schneebedeckte Gipfel ragten in der Ferne auf, die näher gelegenen Hügel, die das Tal umschlossen, waren mit Bäumen und Gras bewachsen. Die Talsohle war mit frisch gepflügten Feldern überzogen, und auch an einigen Hügelhängen hatte man terrassenförmige Getreidefelder angelegt, auf denen hier und da Menschen arbeiteten. Auf der anderen Seite des Flusses standen ordentliche Reihen von Obst- und Nussbäumen, auf ihrer Seite graste eine kleine Pferdeherde zwischen Ziegen und dickschwänzigen Schafen.
Sowie sie sie sah, löste sich Zahirah aus der Gruppe und galoppierte mit so freudigen Sprüngen auf ihre Herrin zu, als hätte sie bereits vergessen, welche Entfernungen sie hatte überwinden müssen, um in dieses Pferdeparadies zu gelangen. Khalidah küsste ihre grasfleckige Nase und fuhr mit einer Hand über ihre Flanke zu ihrem verbundenen Bein hinunter. Irgendjemand hatte die Stute ausgezeichnet versorgt: Ihr Fell glänzte wie eine Kupfermünze, der Verband war frisch und sauber, das Bein weder heiß noch angeschwollen.
»Mach dir um sie keine Sorgen«, meinte Sulayman, während er Asifa und Ghassans graues Pony streichelte, das seinen Freundinnen hinterhergetrottet war. »Die Dschinn lieben ihre Pferde mindestens ebenso sehr wie die Hassani die ihren.«
»Stehen sie auf dieser Weide, seit wir hier sind?«, erkundigte sich Khalidah erschrocken, ohne auf seine letzte Bemerkung einzugehen. »Sie werden Hufrehe bekommen … oder Koliken, wenn sie weiter so viel fressen.«
»Keine Sorge«, wiederholte Sulayman. »Sie lassen die Pferde nur morgens ein paar Stunden hier weiden und bringen sie dann höher in die Hügel hinauf, wo das Gras nicht so üppig wächst.«
Zufrieden, dass wenigstens ihr Pferd gut versorgt wurde, begann Khalidah die anderen zu inspizieren. Sie waren wie die Pferde ihres Stammes größtenteils einfarbig und wiesen nur am Kopf und an den Beinen gelegentlich weiße Flecken auf. Ihr Fell befand sich in gutem Zustand, war aber bei vielen Tieren mit Kampfnarben übersät. Sie hatten breite Brüste, kräftige Beine, ausgeprägte Widerriste und schlanke Körper mit eckigen, muskulösen Rücken, die es ermöglichten, sie auch ohne Sattel zu reiten. Ihre Köpfe und Hälse waren schwerer als die der Beduinenpferde, aber sie hatten
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