Wuestentochter
eine Dschinn bleibt immer eine Dschinn, selbst wenn sie innerlich ausgebrannt ist.« Er brach ab und warf Khalidah einen Blick zu, in dem ein seltsames Mitgefühl lag. »Weder Krieg noch Ehe noch Mutterschaft brachten ihr den ersehnten Frieden. Irgendwann einmal erkannte sie, dass nur noch ein einziger Funke in ihr glomm, und das war der Wunsch, nach Qaf zurückzukehren. Deswegen hat sie dich verlassen, Khalidah: um hierherzukommen und darum zu bitten, wieder aufgenommen zu werden. Aber sie hatte nie vor, dich im Stich zu lassen - sie wollte dich nachholen.«
»Sie wollte mich nachholen?«, wiederholte Khalidah wie betäubt.
»Ja«, versetzte er leise und voller Bitterkeit. »Es ist meine Schuld, dass du ohne Mutter aufwachsen musstest, Khalidah. Ich konnte meinen Zorn und meinen verletzten Stolz nicht überwinden und ihr verzeihen. Also schlug ich ihr ihre Bitte schroff ab und sagte ihr, weder sie noch ihr Halbblutkind wären hier je wieder willkommen.«
Die Worte trafen Khalidah wie glühende Pfeile. Sie musste ihre gesamte Willenskraft aufbieten, um nicht aufzuspringen und davonzulaufen, doch sie wusste, dass noch mehr kommen würde, also zwang sie sich, still sitzen zu bleiben und weiter zuzuhören.
»Sie fügte sich meinem Urteil widerspruchslos, was ich ihr als Schwäche auslegte. Ich sah nicht, dass ich den letzten Funken in ihrem Herzen ausgelöscht hatte. Ich hatte meine einzige Tochter verraten, verstoßen und sie dadurch getötet. Versteh mich nicht falsch, sie lebt noch - das hat Alipsha mir gesagt. Sie ist irgendwo weit fort von hier …weit fort von allem, nehme ich an. Aber wie ihr Leben jetzt aussieht, darüber wage ich nicht nachzudenken.
Ich für meinen Teil habe in dem Moment, wo sie ging, eingesehen, dass ich einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte. Seither ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht von furchtbaren Schuldgefühlen gequält wurde. Jahrelang versuchte ich, sie zu finden, bis mich Alipsha davon überzeugte, dass sie nicht gefunden werden wollte und ich ihr einen schlechten Dienst erweisen würde, wenn ich meine Suche fortsetzte. Also begann ich stattdessen nach dir zu suchen, Khalidah - nicht, weil ich eine Erbin brauchte oder mit deiner Hilfe die Dschinn zusammenhalten wollte, sondern weil es Brekhnas Wunsch gewesen wäre und ich nichts anderes tun konnte, um das Unrecht zu sühnen, das ich begangen hatte.«
»Also bin ich nur hier, um dein Gewissen zu beschwichtigen?«
Tor Gul Khan zuckte zusammen, wich aber ihrem Blick nicht aus. »Vermutlich verdiene ich es nicht besser. Ich weiß, wie schwer es dir fallen muss, mir zu glauben, aber ich wollte, dass du herkommst, damit du selbst wählen kannst, wie dein weiteres Leben verlaufen soll. Du willst mir doch sicher nicht weismachen, dass du lieber bei deinem Stamm geblieben wärst und deinen Vetter geheiratet hättest.«
Khalidah seufzte. In Tor Gul Khans Augen lag eine stumme Bitte, und wider Willen spürte sie Mitgefühl in sich aufsteigen.
»Was kann ich tun, um wiedergutzumachen, was ich dir angetan habe?«
Khalidah musterte ihn lange, während sie die zahlreichen möglichen Antworten auf diese Frage abwog und sich schließlich für die eine entschied, die wirklich zählte. »Du kannst die Dschinn, die mir folgen wollen, um für Saladin zu kämpfen, mit deinem Segen gehen lassen«, entgegnete sie endlich.
Ihr Großvater schloss die Augen und nickte langsam, und wieder empfand sie gegen ihren Willen einen Anflug von Bewunderung für ihn, weil sie wusste, wie viel Kraft ihn dieses Nicken gekostet haben musste. »Zusammen mit meinem Segen möchte ich dir noch dieses mitgeben, Khalidah: In meinen Augen bist du eine Dschinn, bist du von meinem Blut, und nichts wird je etwas daran ändern. Wenn du dich dafür entscheidest, zu deinem Vater zurückzugehen, dann wünsche ich dir für dein Leben dort viel Glück. Aber wenn du dich je nach Qaf zurücksehnst, dann komm wieder. Für mich zählt nicht, wie lange du fort warst. Du und jeder, den du mitbringst, wird hier immer eine Heimat finden.«
Als Khalidah ihrerseits nickte, bemerkte sie verwundert, dass ihre Hände mit Tränen benetzt waren.
13
»Und?«, fragte Abi Gul ungeduldig. »Was hat er gesagt?«
Sie und Sulayman hatten auf einem flachen Felsen am Flussufer in der Nähe der Pferdeweiden auf Khalidah gewartet. Khalidah setzte sich zu ihnen und wand sich geistesabwesend einen ihrer Zöpfe um die Hand, während sie über das Gespräch mit ihrem Großvater
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