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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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ihnen nachwinkten. Das ganze Dorf sah zu, wie sie auf die Ausläufer der Berge im Süden zuritten und hinter den welligen grünen Hügeln verschwanden.
    Khalidah, die die Gruppe nicht aus den Augen ließ, spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief, denn sie wusste, dass sie Qaf bald ebenfalls verlassen würde. Sie hatte ihre Entscheidung getroffen, nachdem sie von dem Besuch bei dem betaan zurückgekommen war. Abgesehen von den Visionen von ihrer Familie hatte Alipsha ihr weder etwas gesagt, was sie nicht schon gewusst hatte, noch hatte er sie in irgendeine bestimmte Richtung gelenkt, trotzdem war sie von einem eigenartigen Gefühl der Klarheit erfüllt in das Tal zurückgekehrt - so, als habe der betaan ihr einen Schleier von den Augen gezogen. Sie hatte gewusst, was sie zu tun hatte, und dies sowohl Abi Gul als auch Sulayman mitgeteilt. Beide hatten ihr Vorhaben gebilligt. Die einzige Hürde, die es noch zu bewältigen galt, war die unausweichliche Konfrontation mit Tor Gul Khan.
    Nachdem Rakans Trupp aufgebrochen war, ging Khalidah zum Tempel hoch. Sie trug das Schwert, das sie in Domat al-Jandal entdeckt hatte, in ihren Schal gewickelt bei sich, da es nicht gestattet war, blanke Waffen mit in den Tempel zu bringen. Sie hatte gehofft, ihren Großvater dort vorzufinden, stieß aber nur auf eine Hand voll Tempeldienerinnen, von denen die meisten in Meditation versunken waren. Khalidah trat zu einer, die sich gerade an einem Altar zu schaffen machte, und fragte sie, wo sie ihren Großvater finden konnte. Die  Frau deutete auf die Tür, die zur Klause führte, und Khalidah folgte der angegebenen Richtung.
    Seit ihrer ersten Nacht in Qaf war sie nicht mehr in Tor Gul Khans privaten Gemächern gewesen, und jetzt erkannte sie, dass sie keine Ahnung hatte, wie sie sie finden sollte. Sie ging einen langen, weiß getünchten Gang entlang, der zu beiden Seiten von offen stehenden Türen gesäumt wurde - den Zellen der Unverheirateten. Hinter jeder Tür lag ein kleiner, mit einer schmalen Pritsche, einem schlichten Wollteppich und einem Altar, auf dem geschnitzte Götterstatuen und flackernde Lampen standen, ausgestatteter Raum. Am Ende des Ganges führte eine Holzstiege zum oberen Stock empor. Die Türen auf der einen Seite davon führten zu der Galerie, die entlang der Vorderseite des Tempels verlief, von den dreien auf der anderen Seite war eine weit geöffnet. Ein schwacher Weihrauchduft wehte in den Gang hinaus.
    Khalidah näherte sich diesem Raum langsam und spähte hinein. Er war größer als die Zellen im unteren Stockwerk, aber fast ebenso kärglich eingerichtet. Tor Gul Khan saß auf einem grob gewebten Läufer vor einem glühenden Weihrauchfass und meditierte. Khalidah blieb verunsichert auf der Schwelle stehen und überlegte, was sie nun tun sollte, bis ihr Großvater plötzlich zu ihr aufblickte. Seine goldenen Augen leuchteten auf.
    »Komm herein und setz dich«, forderte er sie auf.
    Khalidah kniete sich ihm gegenüber auf den Läufer und drückte das eingewickelte Schwert fest an sich. Ihr Großvater warf einen Blick darauf, stellte dann aber nur sachlich fest: »Du hast beschlossen, dich auf den Weg zum Sultan zu machen.« In seiner Stimme schwangen weder Ärger noch ein unterdrückter Vorwurf mit, nur resigniertes Bedauern. Khalidah nickte. »Und du wirst die, die an dich glauben, mitnehmen.«
    Khalidah seufzte. »Ich habe mein Versprechen gehalten und mit  keinem Wort bewusst versucht, die Leute in ihren Überzeugungen zu bestärken oder sie davon abzubringen. Du wolltest, dass ich eine Zeit lang unter ihnen lebe, um zu einer Entscheidung zu gelangen, aber ich kann trotzdem nur sagen, was jeder, den ich fragte, auch zu mir gesagt hat: Sie müssen ihren eigenen Weg gehen. Wenn ich Qaf verlasse, werde ich niemanden ermutigen, mich zu begleiten, aber ich werde auch niemanden, der mir aus freien Stücken folgen will, davon abhalten.«
    Tor Gul Khan musterte sie schweigend. Die Minuten zogen sich quälend langsam dahin. Endlich erwiderte er: »Wie du meinst, Khalidah. Aber wenn du nicht gekommen bist, um meine Erlaubnis einzuholen, meine Leute gen Westen führen zu dürfen … was hat dich dann zu mir geführt?«
    Statt einer Antwort wickelte sie das Schwert aus und reichte es ihm. Er betrachtete es lange mit undurchdringlicher Miene, strich dabei aber mit dem Daumen sacht über den goldenen Edelstein im Griff.
    »Hat es meiner Mutter gehört?«, fragte sie mit einer Stimme, die fest und klar hatte

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