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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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zusammengekommen waren, um über ihre Erziehung zu streiten. Sie hatte sie eigentlich immer nur diskutieren und argumentieren sehen, ohne dass sie sich je einig geworden wären. Aber vielleicht, überlegte sie, während sie die beiden betrachtete, hatte sie selbst ja immer zwischen ihnen gestanden. Nachdem sie, der Grund für ihre fortwährenden Zwistigkeiten und die verkörperte ständige Erinnerung an ihre Mutter, nicht mehr da gewesen war, war es eigentlich gar nicht so verwunderlich, dass Zeyneb und  Abd al-Aziz festgestellt hatten, dass sie im Grunde genommen schon seit Jahren miteinander verheiratet waren.
    Mit einem Mal fiel die Bürde, die Khalidah seit der Nacht, in der sie ihren Stamm verlassen hatte, mit sich herumtrug, von ihr ab, und sie fühlte sich benommen, fast schwerelos, so wie oft, wenn sie sich überanstrengt hatte - als würden sie ihre Beine nicht länger tragen. Während Bilal und Abd al-Aziz mit ihren jüngst überstandenen Abenteuern prahlten und dabei schamlos übertrieben (Sulayman und Abi Gul hatten sich nach Abd al-Aziz’ Ankündigung taktvoll zurückgezogen), legte sie die Arme um Zeynebs Schultern und drückte sie fest an sich.
    »Was ist denn, Kind?« Zeyneb bemerkte überrascht, dass Tränen über Khalidahs Wangen rannen und im Stoff ihres Gewandes versickerten.
    »Es tut mir leid, dass ich einfach so ohne ein Wort davongelaufen bin und dir Sorgen bereitet habe.«
    Zeyneb kicherte leise. »Damals hätte ich dir mit Wonne den Hals umgedreht, aber glaub nicht, dass ich nicht weiß, warum du es getan hast«, sagte sie, dann etwas leiser: »Und ich hätte an deiner Stelle dasselbe getan. Sag mir … hast du sie gefunden?«
    Khalidah schwieg einen Moment. Sie hielt Zeyneb noch immer fest, obgleich ihre Tränen versiegt waren. »In gewisser Hinsicht schon, obwohl ich sie weder gesehen noch mit ihr gesprochen habe.«
    »Wie sind sie?«, wollte Zeyneb wissen. »Die Dschinn?«
    »Sie sind wie wir … und ganz anders als wir. Wie die Legenden, die sich um sie ranken, und auch wieder nicht.« Sie hielt inne. »Ich habe Angst um sie, Zeyneb. Und ich habe Angst um mich selbst.«
    »Natürlich hast du das«, beschwichtigte Zeyneb. »Wir haben alle Angst. Aber du gehst deinen Weg, Khalidah, nur das zählt. Ach, fang jetzt nicht wieder an! Warum weinst du denn nun schon wieder?«
    »Weil ich so froh bin, dich endlich ummah nennen zu können«, schnüffelte Khalidah.
    Diese Nacht schlief sie neben Zeyneb in dem maharama, das im Zelt des Scheichs für sie eingerichtet worden war. Beide Frauen wussten, das es das letzte Mal sein konnte. Sie blieben lange auf und erzählten sich gegenseitig alles, was in der Zeit ihrer Trennung geschehen war. Khalidah kam es so vor, als wäre sie gerade erst eingeschlafen, als die Trompeten und Trommeln sie schon wieder weckten und der Muezzin die Gläubigen zum Gebet rief. Sie spülte ihre schlafverklebten Augen mit Wasser und wusch sich dann Arme und Füße. Endlich fuhr sie mit ihren feuchten Händen über ihren Kopf, aber ihre Bewegungen waren abgehackt; glichen einer Sprache, die sie seit vielen Jahren nicht mehr gesprochen hatte. Sie hatte so lange nicht mehr gebetet, dass sie fürchtete, sich nicht mehr an die Worte erinnern zu können. Aber als sie neben Zeyneb niederkniete und sich in Richtung des noch immer nachtschwarzen Himmels im Süden verneigte, stellte sie fest, dass das Salatu-l-Fajr über ihre Lippen floss wie eine lange nicht gespielte Melodie, die ihre Finger einer oud entlockten.
    Als sie in das Lager zurückkehrte, waren die Dschinn bereits aufgestanden und hatten ein karges Frühstück zubereitet. Beim Gedanken an Essen drehte sich Khalidah der Magen um, aber sie trank dankbar von dem Tee, den Abi Gul ihr reichte. Dann begannen sie ihre Pferde zu satteln. Als die Sonne aufging, waren sie auf dem Weg nach Tiberias.
    Das Wetter war klar, der Wind trocken und der Tag bald noch hei-ßer als der vorangegangene. Khalidah spürte, wie ihr der Schweiß den Rücken herunterrann, aber die Lederrüstungen der Dschinn ließen sich immer noch leichter tragen als die metallenen der Edelleute. Beim Aufbruch hatte sie einen Blick auf Bilal erhascht, der in seiner schimmernden Rüstung und Brokatgewändern, die eines Prinzen würdig gewesen wären, prächtig anzuschauen war, aber sie hatte ihn nicht beneidet. Sie fragte sich, wie er sich jetzt wohl darin fühlen mochte.
    Trotz der Hitze kamen sie gut vorwärts. Am späten Morgen schimmerte der See vor ihnen in

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