Wuestentochter
der Ferne, dahinter sahen sie das ausgebleichte Mauerwerk von Tripolis’ Burg. Khalidah fand die hohen Mauern und die bunten, jetzt in der windstillen Glut schlaff herabhängenden Banner beeindruckend, doch denjenigen, die die Burg monatelang bewacht hatten und denen, die vor zwei Monaten auf jenem verhängnisvollen Erkundungsritt daran vorbeigeritten waren, erschien sie jetzt im Vergleich zu früher trostlos, fast gespenstisch. Sie erweckte den Eindruck, als hätten ihre Bewohner sie im Stich gelassen, was in gewisser Weise auch zutraf, denn die Garnison war fast vollständig nach Saffuriyya verlegt worden. Eschiva hatte den größten Teil der in der Stadt zurückgebliebenen Bewohner in die Sicherheit der schützenden Mauern geholt, nachdem Saladin den Fluss überquert hatte.
Die Truppe bildete einen Ring um die Burg, die Belagerungsgeräte und Türme wurden in Stellung gebracht, und noch immer gab es keinerlei Anzeichen dafür, dass Menschen hier lebten. Khalidah begann sich allmählich zu fragen, ob die Bewohner von Tiberias sich ohne Kampf ergeben würden, als ein jämmerlich dünner Pfeilregen von den Mauern auf sie niederging. Die muslimische Armee reagierte augenblicklich: Die umara bellten Befehle, und der Himmel verdunkelte sich kurz, als die Bogenschützen zum Gegenangriff übergingen. Schmerzensschreie hinter den Mauern verrieten, dass einige Pfeile ihr Ziel getroffen hatten. Dann wurden die Katapulte abgefeuert, und entsetztes Gebrüll hallte durch die staubschwangere Luft.
Weit hinten in den Reihen der leichten Kavallerie überlegte Khalidah, wie lange dies so weitergehen würde. Die muslimischen Truppen waren stark genug, um die verwundbare Burg gegen Mittag einzunehmen, aber sie gingen auf Befehl des Sultans nicht mit geballter Macht vor. »Erobert die Stadt, aber richtet dabei so wenig Schaden wie möglich an«, hatte er gesagt, denn er hatte kein Interesse an dem kleinen galiläischen Hafen, der ihm nur als Mittel zum Zweck diente, um Guys Armee herzulocken, und er wollte der Familie seines alten Freundes kein Leid zufügen.
Die Muslime feuerten ihre Steinschleudern ab, bis sich Eschivas wenige Ritter in den Bergfried zurückzogen, dann nahmen sie die Stadt unter Beschuss. Kein Rittertrupp stellte sich ihnen in den Weg. Es würde nichts fruchten, was beide Seiten wussten. Khalidahs Dschinn zogen an diesem Tag genau wie die meisten anderen Soldaten kein einziges Mal ihre Waffen. Sie umzingelten die Stadt und sahen zu, wie die Katapulte wahllose Schüsse auf die Burg abgaben. Khalidah bemerkte, wie auf dem Dach ein paar Brieftauben freigelassen wurden. Sie flatterten einen Moment ziellos umher, dann schwenkten sie mit ihren Botschaften Richtung Süden und Westen ab. Danach konnten Saladins Männer nichts anderes tun, als zum Lager zurückzukehren und abzuwarten, wie sich die Dinge weiter entwickeln würden.
21
Stadt verloren. Sitzen in der Zitadelle fest. Lage den Umständen entsprechend gut. E.
Tripolis rieb sich die Stirn. Ihm war, als versuche jemand, mit aller Gewalt seinen Schädel zu durchbohren. Die Kopfschmerzen hatten eingesetzt, als sie an diesem Morgen von Gökböris Marsch auf Tiberias erfahren hatten, und hielten seitdem mit unverminderter Heftigkeit an. Trotzdem konnte er nicht umhin, grimmig in sich hineinzulächeln, als er Guy die Nachricht zurückgab. Zu deutlich spiegelte sie den Charakter seiner Frau wider, der die Basis seiner Liebe zu ihr bildete. In diesem ganzen irrsinnigen Land war ihm noch nie eine Frau begegnet, die im Angesicht von Gefahr so unerschütterlich gelassen blieb. Dass sie mit einer Belagerung mit derselben pragmatischen Ruhe umging wie mit einem Stapel schmutzigen Leinens zählte für ihn mehr als ihre Schönheit und ihr Reichtum zusammen.
Tripolis konnte sich keine Frau vorstellen, die weniger der Rettung bedurfte als Gräfin Eschiva, und in ihrer Nachricht hatte sie diese Notwendigkeit auch nicht angedeutet. Trotzdem wusste Tripolis, dass die Barone genau darauf drängen würden. Er fragte sich nur, wer als Erster darauf zu sprechen kommen würde. Zu seiner Überraschung war es weder de Ridefort noch Kerak, sondern König Guy selbst.
Er blickte allerdings Kerak um Zustimmung heischend an, als er verkündete: »Wir müssen ihr natürlich sofort zu Hilfe kommen.«
»Das steht außer Frage«, nickte Kerak, dem die Aussicht, nach so vielen Tagen der Untätigkeit endlich wieder arabisches Blut vergießen zu können, über alle Maßen zusagte.
»Wir
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