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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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nahm an, dies geschah, damit er beschäftigt war, während er wartete - worauf, wusste er nicht, und er wagte auch nicht, danach zu fragen. Aber der Drill war ermüdend langweilig, und die Gesellschaft seiner stumpfsinnigen Kameraden ließ ihm entschieden zu viel Zeit, um seine Situation zu hinterfragen. Tag für Tag grübelte er darüber nach, ohne eine Antwort auf seine Fragen zu finden. Er sehnte sich verzweifelt danach, de Mailly wiederzusehen, doch er wusste, dass dies so wahrscheinlich war wie eine Privataudienz beim König.
    Dann, als er sich selbst schon halb in den Wahnsinn getrieben hatte, erfüllte sich sein Wunsch. Bilal war in die Baracke zurückgekehrt, während die anderen Soldaten ihr Mittagsmahl einnahmen. Er selbst fühlte sich zu erschöpft und entmutigt, um an Essen zu denken. Er saß auf seiner Pritsche und starrte ins Leere, als sich das durch die Tür fallende Licht plötzlich verdunkelte. Bilal drehte sich mit wild klopfendem Herzen um; er rechnete damit, wegen seines Fehlens beim Essen barsch angefahren zu werden, doch bei dem Mann in der Tür handelte es sich weder um seinen Ausbilder noch um einen der anderen Soldaten.
    »Ihr seid es!«, entfuhr es ihm, gleich darauf lief er vor Scham rot an.
    De Mailly lächelte. »Komm mit.« Er machte auf dem Absatz kehrt und trat wieder in den hellen Hof hinaus, dann blieb er stehen und drehte sich um, um sich zu vergewissern, dass Bilal ihm folgte. Der Junge sprang hastig von seiner Pritsche und lief ihm nach.
    Als sie die Stufen zum oberen Hof emporstiegen, fragte de Mailly: »Hat dir deine Infanterieausbildung gefallen?«
    Bilal holte tief Atem. »Sie war sehr … lehrreich.«
    De Mailly warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu, dann brach er unverhofft in schallendes Gelächter aus. »Ihr Araber seid die geborenen Diplomaten! Manchmal frage ich mich, warum wir überhaupt noch Krieg gegeneinander führen.«
    Erst jetzt bemerkte Bilal, dass sie auf dem Weg zu den Ställen waren. Anjum und de Maillys Pferd standen gesattelt und aufgezäumt bereit. Ein arabischer Stallbursche, der Bilal nicht in die Augen zu sehen vermochte, hielt sie am Zügel.
    »Bin ich endlich mit allem fertig?«, fragte Bilal, bemüht, sich seine freudige Erregung nicht anmerken zu lassen. »Brechen wir auf?«
    »Wir verlassen Jebal Habis.« De Mailly schwang sich in den Sattel. »Aber fertig bist du noch lange nicht.«
    »Wo reiten wir denn hin?«
    »Nach Kerak.«
    »Warum gerade dorthin?« Bilal konnte sein Erschrecken nicht verbergen.
    De Mailly seufzte. »Weil de Ridefort nach dir geschickt hat.«
    »De Ridefort?«, wiederholte Bilal mit zittriger Stimme. »Warum?«
    De Maillys Lippen verzogen sich zu einem bitteren Lächeln. »Mein Herr pflegt mir keine Gründe für seine Entscheidungen zu nennen.«
    Die Verachtung in seiner Stimme war unüberhörbar. Bilal drehte sich um, um zu sehen, ob sich jemand in Hörweite befunden hatte, aber abgesehen von dem sauertöpfischen Stallburschen befanden sie sich allein im Hof. Er spürte, dass de Maillys Augen so schwer wie Grabsteine auf ihm ruhten.
    »Bilal«, sagte der Ritter. Der verächtliche Ton war aufrichtigem Mitgefühl gewichen. »Verzeih mir, wenn ich mich in dein Leben einmische, aber ich denke, ich kann mich ein wenig in deine Lage hineinversetzen, und … nun, du sollst wissen, dass du nicht allein bist. Du bist viel zu jung, um in die Ränke so mächtiger Männer hineingezogen zu werden. Wenn du je Hilfe brauchst, dann komm zu mir. Du kannst jederzeit auf mich zählen.«
    »Danke«, erwiderte Bilal weich, dabei wünschte er von ganzem Herzen, die Arme um den Ritter mit dem Heiligengesicht schlingen zu können. Stattdessen legte er eine Hand über sein Herz und verneigte sich.
    »Indem du für uns arbeitest, erfüllst du Gottes Willen«, sagte de Mailly endlich mit schwankender Stimme. »Vergiss das nie.«
    Bilal lächelte verbindlich, doch dabei dachte er verbittert, dass er sich schon gar nicht mehr daran erinnern konnte, wessen Willen er eigentlich erfüllte, und fragte sich, ob er in diesem Punkt wohl jemals Klarheit gewinnen würde. Er fragte sich auch, wie viel de Mailly wusste - mit Sicherheit nur einen Bruchteil der Wahrheit. Plötzlich empfand er Mitleid mit dem Templermarschall und den überwältigenden Drang, die weiße Haut seines Gesichts zu berühren. Unmöglich, mahnte er sich streng, bevor er sich anmutig in den Sattel schwang. Doch sowie die Stute sich in Bewegung setzte, saß er stocksteif im Sattel, die

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