Wuestentochter
Er hat es verstanden, ihnen den Eindruck zu vermitteln, ihm ebenbürtig zu sein, ohne dass sie ihm den Gehorsam verweigerten. Über diese Fähigkeit verfügen nur sehr wenige militärische Führer.« Khalidah fragte sich, ob ihm wohl bewusst war, dass dieselbe Fähigkeit, die er gerade pries, ab und an auch in ihm selbst aufblitzte.
Als sie endlich eine Unterkunft fanden, war die Nacht bereits hereingebrochen, und die Pferde ließen vor Erschöpfung die Köpfe hängen. Das Gasthaus lag am Stadtrand, wo die Häuser ärmlicher und die Straßen schmaler und schäbiger waren, aber es war sauber, und der Wirt wirkte ehrlich.
»Die Räume sind alle belegt«, sagte er, während er sie um das Haus herum und über einen kleinen, mit zerbrochenen Ziegeln und Trümmern des in sich zusammenfallenden Nachbarhauses übersäten Hof führte. Eine verschleierte Frau saß an einem Feuer, summte tonlos vor sich hin und rührte in einem großen Kessel. Khalidah zog sich ihre Keffieh tiefer ins Gesicht. Sie fürchtete, eine andere Frau könne ihre Verkleidung leichter durchschauen als ein Mann.
»Aber ihr könnt hier schlafen.« Der Wirt öffnete die Tür eines Verschlages, der früher offenbar einmal als Viehstall gedient hatte. Oben in die Wand war ein einziges Fenster eingelassen, auf dem Boden lagen ein paar alte Strohmatten. Khalidah hörte das Sirren von Mücken und bereitete sich resigniert auf eine schlaflose Nacht vor. »Und die Pferde …«
»Bleiben bei uns«, entgegnete Sulayman bestimmt. Khalidah bemerkte, wie der Blick des Mannes über ihre staubigen Kleider und sandverkrusteten Schuhe wanderte und wusste, was er dachte. Stadtbewohner sahen meist verächtlich auf die Angehörigen der Nomadenstämme hinab, und daran würde sich auch nichts ändern, wenn der Mann wüsste, dass sie die Tochter eines der reichsten Scheiche Arabiens war. Doch sie musste dem Wirt zugutehalten, dass er nur nickte, das Geld entgegennahm, das Sulayman ihm reichte, ihnen einen Eimer Wasser und ein Tuch brachte und sie dann allein ließ.
Nachdem sie sich notdürftig gewaschen und die Pferde getränkt hatten, gingen sie in den Hof hinaus, wo die alte Frau ihnen Schalen mit dampfenden Currybohnen und ein kleines Fladenbrot gab. Damit steuerten sie auf eine Gruppe von Männern zu, die auf den Trümmern der Hausruine saßen. Sie waren für kälteres Wetter gekleidet; sie trugen schwere Wollgewänder in dunklen Farben. Ein hünenhafter Mann mit Fältchen um die Augen und einem grau gesprenkelten Bart bedeutete ihnen, sich zu ihm zu setzen.
»As-salaam’aleikum«, grüßte Sulayman.
»Wa’aleikum as-salaam«, erwiderte der Mann mit breitem kurdischem Akzent.
Sulayman brach das Brot in zwei Hälften und reichte Khalidah eine davon, dabei warf er ihr einen warnenden Blick zu. »Ihr seid weit fort von eurer Heimat«, sagte er zu dem Mann, der sie eingeladen hatte. »Demnach wollt ihr euch Saladin anschließen?«
Der Mann musterte ihn misstrauisch. »Wer will das wissen?«
»Ich bitte um Entschuldigung.« Sulayman senkte den Blick. »Ich wollte nicht neugierig sein. Es kommt mir nur so vor, als würden sämtliche Männer des Islams im Moment gen Westen ziehen … und unglücklicherweise scheinen alle hier Rast zu machen.« Er lächelte. Leiser Spott schwang in seiner Stimme mit. »Weshalb mein Vetter und ich die zweifelhafte Ehre haben, in einem Ziegenstall nächtigen zu dürfen. Aber ihm dürfte das weniger ausmachen als mir«, fügte er mit einem Nicken in Khalidahs Richtung hinzu.
»Wieso das?«, fragte der Mann, dessen Argwohn merklich nachließ.
»Nun«, erwiderte Sulayman obenhin, »er wird im Rahmen seines Strebens nach göttlicher Vollkommenheit mehr Härten ertragen müssen als Ziegengestank.«
»Er ist ein Derwisch?« Der Mann betrachtete Khalidah eingehender. »Dafür ist er sehr jung.«
Khalidah hielt den Blick unverwandt auf ihre Mahlzeit gerichtet, dennoch entging ihr Sulaymans Lächeln nicht - das, was sie sein diebisches Lächeln nannte, weil es eher eine Herausforderung als ein Versprechen enthielt. Ihn stumm verwünschend hoffte sie inbrünstig, dass er ein paar persische Gebete kannte. Sie selbst war auf diesem Gebiet nämlich völlig ahnungslos.
»O nein, er ist noch kein fertig ausgebildeter Derwisch«, antwortete Sulayman. »Aber er war der beste Schüler unseres Imam. Der war der Meinung, ihm nichts mehr beibringen zu können, also schickte er ihn zu einer Gruppe heiliger Brüder, damit er sein Studium bei ihnen
Weitere Kostenlose Bücher