Wuestentochter
sie mit einem ungeduldigen Seufzer über die glutheiße Wüste hinweg. »Hast du andere Pläne für den Nachmittag?«
Seine Augen ruhten nachdenklich auf ihrem Gesicht. »Also gut.« Er brach zwei Zweige von einem verdorrten Busch ab, reichte ihr einen davon und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen neben sie. Dann glättete er den Sand vor ihnen mit einer Hand und zeichnete mit seinem Zweig ein Symbol hinein. »Das ist ’alif.« Er malte ein zweites Zeichen daneben. »Und das ba’a.«
Er ließ sie die Buchstaben mehrmals nachzeichnen und dabei den Namen laut wiederholen. So gingen sie das gesamte Alphabet mehrmals durch. Am Ende schwirrte Khalidah der Kopf, und sie war fast sicher, nie einen Sinn in dem Gewirr aus Symbolen und Lauten sehen zu können.
Als würde Sulayman spüren, wie entmutigt sie mit einem Mal war, glättete er den Sand erneut und schrieb ›Khalidah‹ hinein. »Das ist dein Name.«
Khalidah betrachtete ihren Namen im Sand eine lange Weile. Es war ein eigenartiges Gefühl, sich selbst dort zu sehen, wenn auch nur vorübergehend. Sie kopierte die Buchstaben sorgfältig, dabei murmelte sie jeden einzelnen vor sich hin.
»Und du?«, fragte sie, als sie fertig war.
Sulayman kratzte seinen eigenen Namen in den Sand. Khalidah schrieb ihn nach. »Sulayman«, flüsterte sie. »Khalidah, Sulayman.« Sie sah strahlend zu ihm auf, was ihm sein geisterhaftes Lächeln entlockte. Die Sonne stand hinter ihm am Nachmittagshimmel. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie viel Zeit vergangen war.
»Was ist mit ›Zahirah‹? ›Asifa‹? ›Bilal‹, ›Zeyneb‹ und ›Abd al-Aziz‹?«
Sulayman schüttelte lachend den Kopf. »Ich muss mich jetzt ausruhen, Khalidah, selbst wenn du keine Ruhe nötig hast. Lehren ist anstrengend.« Als er ihr niedergeschlagenes Gesicht sah, fügte er hinzu: »Keine Sorge. Du bist ein Naturtalent. Wenn wir Domat al-Jandal erreichen, wirst du den Namen der Stadt schreiben können, das verspreche ich dir.«
»Die Festungsstadt? Willst du dort Halt machen?«
»Wir werden Wasser und andere Vorräte brauchen, ehe wir nach Jassirah weiterreiten.«
Zu jeder anderen Zeit hätte Khalidah ihn mit Fragen überschüttet, denn sie war nie in Jassirah gewesen, hatte aber immer auch Bagdad sehen wollen, den Sitz des Kalifen. Doch im Moment konnte sie an nichts anderes denken als an das Wunder ihres Namens im Sand.
»Danke, Sulayman.« Sie deutete auf die Schriftzeichen. »Du weißt nicht, was das für mich bedeutet.«
Sulaymans Lächeln wurde breiter, und Khalidah stellte mit einem Mal fest, dass sie ihn nicht ansehen konnte.
Sie träumte, sie würde in Sulaymans Armen schlafen. Sie hielten einander eng umschlungen - nicht wie Liebende, sondern wie Zwillinge im Mutterleib: zwei zusammengehörende Seelen. In dem Augenblick zwischen Schlaf und Erwachen verspürte Khalidah einen nie gekannten Frieden. Dann schlug sie die Augen auf. Im fahlblauen Zwielicht sah sie, dass Sulayman sie betrachtete. Er sprach kein Wort, doch sie wusste, dass er ihr den Traum so deutlich vom Gesicht abgelesen hatte, als habe er ein aufgeschlagenes Buch vor sich. Einen Moment lang sahen sie sich an, dann rollte sich Khalidah von ihm weg.
Am ganzen Leib zitternd ging sie zu Zahirah und gab ihr mit getrockneter Kamelmilch versetztes Wasser, dann vergrub sie das Gesicht in der Mähne der Stute, während diese trank, und fragte sich, was der Traum wohl zu bedeuten hatte. Sie hatten einander nicht angerührt, und doch fühlte sie sich zutiefst gedemütigt. Sie machte sich grundlose Vorwürfe, und in ihren Eingeweiden tobte ein scharfer Schmerz, als wäre etwas in ihr zerrissen, als sie sich von ihm abgewandt hatte. Sie wollte etwas sagen, fand aber keine Worte. Also sattelten sie schweigend die Pferde und ritten schweigend in die Nacht hinaus. Erst viel später fiel Khalidah ein, dass sie vergessen hatte, ihre Gebete zu sprechen.
10
Bilal blickte zu der abbröckelnden Fassade eines heidnischen Götterpalastes empor. Ringsum erhoben sich rote Felsen. Die gemeißelten Säulen und Portikos wiesen deutliche Spuren von Wind und Wasser auf. Schon bevor der verstorbene Leprakönig fränkische Einflüsse nach Oultrejourdain gebracht hatte, hatten die Stämme die Ruinenstadt Petra gemieden. Sie glaubten, sie würde von den Geistern der Ungläubigen heimgesucht, die sie vor langer Zeit aus den Felsen gehauen hatten.
Bilal wandte sich von den leeren Augen der Ruinen ab und heftete den Blick auf den Rücken des Mannes,
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