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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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ihre Körper sich immer weiter von ihr entfernten.

14
    Im Licht der Morgensonne wirkte die Stadt Ras al-Mai klein und unbedeutend. Seit ihrer Gründung hatte sie im Schatten des weniger als einen Tagesritt entfernten Damaskus gestanden, und daran hätte sich zweifellos auch nichts geändert, wenn nicht das scharfe Auge Saladins auf sie gefallen wäre. Wo andere karge, trockene Ebenen voller Steine und Staub sahen, sah der Sultan ausreichend Platz für  eine zwölftausend Mann starke Kavallerie, die dort ungestört ihre Übungskämpfe austragen konnte. Wo seine umara andere Städte mit den gleichen Möglichkeiten, aber mehr Komfort sahen, sah der Sultan Wasservorräte, mit denen sich eine Armee versorgen ließ, die, wie er wusste, allen düsteren Voraussagen seiner Berater zum Trotz die größte sein würde, die jemals gegen die Franken zusammengezogen worden war.
    Noch bevor die Hälfte der Rekrutierungsbriefe verteilt worden war, begannen schon die ersten Freiwilligen einzutreffen. Zuerst kamen die muttawiyah, von religiösen Motiven getriebene Männer mit einer nur geringen oder gar keiner militärischen Ausbildung. Ihnen folgten schon bald die Angehörigen der Stadtmilizen und die Söldnerinfanterie. Dann kam die Elite, die aus ehemaligen Sklaven bestehende Mamlukenarmee, dann die nafathin-Feuertruppen, die Mineure, Steinmetze und Zimmerleute, die die Belagerungsgeräte bauen und in Stand halten sollten, und endlich die tawashiyah, die schwere Kavallerie, die sich vornehmlich aus Edelleuten zusammensetzte. Aus allen Ecken des Reichs des Sultans strömten sie herbei; Muslime, Christen und Juden, alle vereint durch den Traum, ihr Land von den Invasoren zu befreien und durch das gemeinsame Vertrauen in die Macht des Ayyubidensultans, der diesen Traum verwirklichen sollte.
    Von Anfang an war Saladin entschlossen, dafür zu sorgen, dass dieser Dschihad alle vorangegangenen übertraf. Da er selbst von Natur aus fromm und gerecht war, verlangte er dasselbe von seinen Männern. Hunderte von Köchen trafen ein, um zu gewährleisten, dass jeder Mann dasselbe aß wie seine Kameraden und niemand bevorzugt wurde. Große Bäder wurden zum allgemeinen Gebrauch angelegt, und da es keinem Soldaten erlaubt war, seine Frau ins Lager mitzubringen, sorgte eine Schar von Prostituierten für diejenigen, die es sich leisten konnten, für Ausgleich. Saladin sah großmütig darüber hinweg.
    Alle Männer hielten sich an denselben Tagesablauf. Bei Tagesanbruch erschollen Trompeten und Trommeln, gefolgt von der Stimme des Muezzins, der die Gläubigen zum Morgengebet Salatu-l-Fajr rief. Obwohl den Christen und Juden diese Gebete erlassen worden waren, erhoben sie sich zusammen mit ihren muslimischen Kameraden von ihren Lagern und warteten schweigend das Ende des Rituals ab. Nach dem Gebet gab es Frühstück, dann wurden die Latrinen aufgesucht: lange Gräben, die ein Stück außerhalb des Lagers ausgehoben worden waren. Der Tag war mit militärischem Training ausgefüllt - Schwertkämpfen, Übungen im Bogenschießen, Kavallerie- und Infanteriemanövern -, bis die Trommeln und Trompeten den Beginn der Abendmahlzeit verkündeten.
    Das Streben des Sultans nach einem Zusammengehörigkeitsgefühl seiner Männer erwies sich als erfolgreich. Die Soldaten tauchten ihr Brot in gemeinschaftliche Eintopfschalen, hockten auf derselben stinkenden Latrine und teilten sich dieselben Huren. Die Grenzen zwischen amir und gewöhnlichen Fußsoldaten, zwischen Anhängern von Jesus und Mohammed begannen zu verblassen. Saladins Männer wuchsen zu einer Einheit zusammen und behandelten einander als absolut gleichberechtigt.
    Zu den Ratgebern, die behauptet hatten, so etwas sei unmöglich zu bewerkstelligen, sagte der Sultan nur: »In einem Dschihad sind alle Menschen vor dem Antlitz Allahs gleich, warum also nicht auch untereinander?« Und dann hatte er die Arme weit ausgebreitet, als wolle er seine gesamte Armee umfangen.
     Als Bilal und Numair im Lager des Sultans eintrafen, war dieses bereits so stark angewachsen, dass die Stadt im Vergleich dazu geradezu zwergenhaft wirkte. Banner in allen nur erdenklichen Farben hoben sich im Wind flatternd vom strahlend blauen Frühlingshimmel ab, darunter erstreckten sich Reihe um Reihe Zelte aller Art; von den  armseligen Kamelhautunterständen der rajjalah bis hin zu den prächtigen, mit Koranversen und klassischer Poesie verzierten Seidenpavillons der Edelleute.
    Jeder, der Bilal ansah, hätte ihn gleichfalls für

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