Wuestentochter
schien ihn mit einem Blick abzuschätzen, und sah dann Bilal an. Einen Moment lang überkam Bilal das absurde Gefühl, der andere Junge könne bis auf den Grund seiner Seele blicken - und sein Doppelspiel durchschauen. Dann trat plötzlich das bezauberndste Lächeln, das Bilal je gesehen hatte, auf sein Gesicht - warm, offen und eindeutig dazu bestimmt, sein Gegenüber zu beruhigen. Es traf ihn wie ein Faustschlag.
»As-Salaamu’aleikum.« Der Junge neigte den Kopf.
Statt ihm nun seinerseits Frieden zu wünschen, beäugte Numair ihn argwöhnisch und fragte: »Wer bist du?«
»Ich bin Maslamah Abd al-Rahman Salim ibn Yusuf al-Ayyubidi«, erwiderte der Junge mild, aber mit einem Anflug von Verachtung in den Augen. »Der Sohn des Sultans.«
Numair hätte sich nun entschuldigen und eine respektvolle Geste vollführen müssen, doch stattdessen bohrte er weiter: »Wieso habe ich noch nie von dir gehört?«
Bilal wäre vor Scham am liebsten im Erdboden versunken, doch der Prinz schien sich nicht gekränkt zu fühlen. Er erwiderte mit dem Abglanz seines wundervollen Lächelns: »Wahrscheinlich, weil ich weder der Älteste Al-Afdhal noch sein Lieblingssohn Al-Zahir noch Al-Aziz bin, dem es zwar gänzlich an Witz und Verstand mangelt, der aber dafür einen Schwertkampf wie einen Tanz aussehen lassen kann. Dennoch bin ich der Bote meines Vaters und als solcher hier, um euch einzuladen, ihm morgen früh eure Aufwartung zu machen.«
»Aus welchem Grund?«, erkundigte sich Numair mit deutlich mehr Interesse.
»Mein Vater pflegt mich selten ins Vertrauen zu ziehen«, wich der Prinz höflich aus. Und selbst wenn er das täte, würdest du vertrauliche Informationen nicht an Leute wie uns weitergeben, dachte Bilal. »Aber er hat mich gebeten, euch in der Zwischenzeit mit den Gegebenheiten des Lagers vertraut zu machen.«
Numair spie einen Mund voll Knorpel aus. »Ein Armeelager sieht aus wie das andere. Kennt man eines, kennt man sie alle.«
Bilals Wangen brannten wie Feuer. In dem Bestreben, zu retten, was zu retten war, warf er ein: »Ich verstehe von diesen Dingen weniger als mein Vetter, und deshalb wäre ich für eine Führung sehr dankbar, Hoheit.«
Numair warf ihm einen finsteren Blick zu, aber der Prinz lächelte erneut, und in seinen Augen glomm ein verschwörerischer Funke auf, den Bilal unwiderstehlich fand. Er konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern.
»Sehr gern, Sayyid …«
»Bilal, Hoheit.«
»Bilal. Und nenn mich bitte Salim. Ich bin nicht mein Vater.« Wieder neigte er den Kopf, dann wandte er sich zum Zelteingang. »Ich komme zurück, wenn du deine Mahlzeit beendet hast.«
»Ich bin fertig«, entgegnete Bilal.
»Dann lass uns gehen.« An Numair gewandt sagte er: »Ma’as salaama.« Numair funkelte ihn nur an.
Draußen jedoch verflog Bilals neu gewonnenes Selbstvertrauen schlagartig. Er fragte sich plötzlich, was der Sultan wohl von ihnen wollen konnte. Tatsächlich wunderte er sich, dass Saladin überhaupt von ihrer Anwesenheit im Lager wusste. Numair unterschied sich in kaum einer Weise von all den anderen unwichtigen Lords, die ihre Schwerter dem Kampf des Sultans verschrieben hatten, es sei denn … eine Welle kalter Panik schlug über ihm zusammen. Er versuchte sich einzureden, sie arbeiteten für den Sultan, aber angesichts de Rideforts Anweisungen, die Augen offen zu halten und ihn über Saladins Truppenbewegungen auf dem Laufenden zu halten, wusste er, dass er sich selbst etwas vormachte. Und falls der Sultan den Verdacht hegte, sie seien nicht nur hier, um ihm Informationen zu liefern, sondern auch, um welche weiterzuleiten …
Hör auf damit, ermahnte er sich und wandte sich an seinen Gefährten. »Ich muss mich für das ungebührliche Benehmen meines Vetters entschuldigen. Wir haben in kurzer Zeit eine lange Reise zurückgelegt, und wenn er erschöpft ist, kann es vorkommen, dass er seine Manieren vergisst.«
Zu seiner Überraschung brach Salim in Gelächter aus; ein Laut wie ein Morgen in der Wüste, wenn alle Vögel zugleich erwachten. »Lass mich dir sagen, was ich als unbedeutender sechster Sohn eines großen Königs gelernt habe«, sagte er. »Entschuldige dich bei niemandem außer Allah - nicht für deine eigenen Taten und schon gar nicht für die anderer. Daraus erwachsen nur Schuldgefühle, die zumeist niemandem von Nutzen sind.«
Bilal fragte sich, wie sich jemand mit einem solchen Lächeln und einer solchen Redegewandtheit für unbedeutend halten konnte.
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