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Wuestentochter

Wuestentochter

Titel: Wuestentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Bryant
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Frieden miteinander leben können.« Ghassan schien sie jetzt nicht mehr direkt anzusprechen, sondern laut seinen Gedanken nachzuhängen. Nach einem Moment nahm er sich zusammen. »Ich sehe, dass ihr beide an meinen Worten zweifelt.« Sein Blick wanderte zwischen Khalidah und Sulayman hin und her. »Dann nehmt doch einmal Al-Quds als Beispiel. Ist unser Anspruch auf die Stadt berechtigter als der der Franken?« Ohne eine Antwort abzuwarten fuhr er fort: »Wisst ihr, wer die Stadt gegründet hat?«
    »König David«, antwortete Khalidah ohne Zögern. »Tausend Jahre vor der Geburt des Propheten Jesu.«
    »Du hattest gute Lehrer.« Ghassan lächelte. »Aber das ist nicht die ganze Wahrheit. Die Stadt Al-Quds war bereits zweitausend Jahre alt, als König David sie ›gründete‹. Er eroberte sie von den Jesubitern, die sie zweifellos einem anderen Volk entrissen hatten. Und danach fiel sie in die Hände der Assyrer, der Babylonier, Alexanders von Makedonien, Ptolemäus, der Seleukiden, der Makkabäer, der Römer, der Byzantiner und dann - erst dann - in die der Muslime. Wir sind nicht mehr als ein Kratzer auf der Fassade dieser großen Stadt; ein weder längerer noch tieferer Kratzer als die Franken, wenn man dieser Überlegung Allahs Gesetze zugrunde legt. Denn Allah hat nicht nur uns geschaffen, sondern auch sie.«
    »Was sollen wir denn dann deiner Meinung nach gegen die Franken unternehmen?«, fragte Khalidah bissig.
    »Erst einmal gründlich über sie nachdenken.« Ghassan ignorierte den finsteren Blick, den Khalidah und Sulayman wechselten. »Sie sind ein Teil von Allahs Plan, wie ich euch eben schon klarzumachen versucht habe. Vielleicht sind sie hier, um uns etwas über uns selbst zu lehren.«
    »Was könnten wir schon von ihnen lernen?«, gab Sulayman zurück und kam so einer neuerlichen giftigen Antwort Khalidahs zuvor.
    Ghassan zuckte die Achseln. »Ich bin Arzt, kein Philosoph. Aber mir scheint, wir sollten nicht denselben Fehler machen wie sie. Ihr Dschihad hat Hass gesät und Elend nach sich gezogen, und zwar nicht nur für ihre Feinde, sondern auch für sie selbst. In ihrem Ringen um Macht haben sie die Worte ihres Christus vergessen. Wenn wir in Allahs Namen Krieg führen, sollte dies nicht mit dem Ziel geschehen, den Gegner blutig zu unterwerfen, sondern um Seine Lehren zu verbreiten. In Zeiten des Friedens, der Erleuchtung und der Erfüllung bleibt kein Platz für Gier und Neid.«
    Sulayman schüttelte den Kopf. »Du sprichst wie der Sultan - ein Allah und seinem Volk ergebener Mann, an dessen Großzügigkeit und Barmherzigkeit wir uns alle ein Beispiel nehmen sollten. Ist es nicht besser, einem solchen Mann in die Schlacht zu folgen als vor Invasoren im Staub zu kriechen, die fest entschlossen sind, uns unter ihr Joch zu zwingen?«
    Ghassans Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln. »Glaubst du, dass alle Gerüchte, die sich um den Sultan ranken, wirklich der Wahrheit entsprechen? Er mag ja von edler Gesinnung sein, Sulayman, aber er ist auch nur ein Mensch mit menschlichen Schwächen und Fehlern, und was noch schwerer wiegt - seine Armee besteht aus Männern. Sie werden gegen seinen Befehl plündern und Frauen schänden und behaupten, es sei Allahs Wille, und dann werden weder Glaube noch Barmherzigkeit noch unser Gott noch der der Franken dieses Land vor der Verdammnis des Krieges retten.«
    »Ein Krieg mag vielleicht unausweichlich sein.« Khalidah hielt den Blick auf den sich verdunkelnden Himmel gerichtet. »Aber er muss nicht zwingenderweise direkt ins Verderben führen. Du bist Arzt, und als solcher weißt du, dass eine Rettung manchmal nur gewaltsam möglich ist. Ein brandiges Bein muss amputiert werden, um den Rest des Körpers vor einer Infektion zu bewahren, ein lebendes Kind muss aus dem Leib seiner sterbenden Mutter geschnitten werden, damit wenigstens ein Leben gerettet wird. Als Arzt tust du diese Dinge, weil du an die Heiligkeit des Lebens glaubst.« Endlich sah sie ihn an. Zu seiner Überraschung war ihr Zorn verflogen, und ein weicher Ausdruck lag in ihren Augen. »Trifft das nicht auch auf einen möglichen Krieg zu? Könnte ein Schwert nicht unsere Rettung sein, wenn derjenige, der es führt, nicht allein an seine Stärke und seine Fechtkunst glaubt, sondern vor allem an einen Gott, der unsere Geschicke lenkt und letztendlich alles zum Besten wendet?«
    Ghassans Gesicht verhärtete sich; seine Züge verrieten plötzlich sein Alter. »Möglich«, gab er zu, dann bedachte er

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