Wüthrich, G: Dölf Ogi: So wa(h)r es!
nicht!»
Alles ist auf der Kippe: Wenn Jiang Zemin jetzt davonläuft, gibt es negative Schlagzeilen über die Schweiz in der ganzen Welt. Für die Schweizer Wirtschaft wären die Folgen sogar verheerend. Aber auch Chinas Nummer eins droht ein Gesichtsverlust.
Barsch fährt der chinesische Präsident Ogi an: « Give me something to write! – Geben Sie mir etwas zu schreiben!» Dölf Ogi hat innerhalb von Sekunden ein Blatt Papier und einen Bleistift zur Hand. Er weiss heute gar nicht mehr, wie ihm das so schnell gelungen ist. Jiang Zemin beginnt zu zeichnen: Es entsteht eine chinesische Blume. Während des Zeichnens beruhigt er sich zusehends und bleibt.
Versöhnung am 13. September mit Chinas Präsident Jiang Zemin in Peking. 2000
Ansprache während einer Tagung der NATO-Partnerschaft für den Frieden: Ogi neben Generalsekretär Javier Solana in Brüssel. 1997
Ogi erinnert sich: «Ich habe meinen Kristall aus dem Hosensack genommen und ihn Jiang Zemin geschenkt.» Er verweist auf die Symbolkraft dieses Millionen Jahre alten Stücks Kristall. Die Situation ist endgültig gerettet.
Ein Jahr später. Jiang Zemin lädt Adolf Ogi in seine Residenz nach Peking ein. Der chinesische Staatspräsident bedankt sich ausdrücklich für Ogis entschiedenes Eingreifen in Bern. Es wäre für ihn auch nicht gut gewesen, wenn er den Staatsbesuch in der Schweiz abgebrochen hätte. Er werde das dem Ogi nie vergessen. Und er gibt dem Bundespräsidenten einen herzlichen Gruss an Bundesrätin Ruth Dreifuss mit auf den Weg, den Ogi bereits auf dem Flughafen Peking sehr gerne telefonisch an Ruth weiterleitet.
Fortan besitzt Ogi vorzügliche Verbindungen zur chinesischen Regierung. Weit über seine Zeit als Bundesrat hinaus. Im Jahre 2003 organisieren die Schweiz und Tunesien zusammen den «World Summet on Information Society», kurz WSIS. Den Weltinformationsgipfel. Neben Ogis hoher Funktion in der UNO als Sonderberater des Generalsekretärs für Sport im Dienste von Entwicklung und Frieden handelt es sich dabei um eine weitere wichtige aussenpolitische Aktivität der Schweiz im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts (die, genauso wie Ogis Engagement für die UNO, in der Schweiz leider ebenfalls wieder «eingeschlafen» ist). Das wichtigste Ziel des Weltinformationsgipfels passt in die humanitäre Tradition der Schweiz: Die digitale Spaltung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern soll so weit wie möglich verringert werden. Im Oktober 2003 schickt der damalige Schweizer Bundespräsident Pascal Couchepin Ogi als Vermittler nach Peking und Washington, weil sich sowohl die chinesische als auch die amerikanische Seite gegen einige Punkte in der Schlusserklärung hartnäckig sträuben. Die Sache bleibt geheim. Und Ogi regelt selbstverständlich auch das ohne Aufsehen.
Deutschlands Bundespräsident Johannes Rau während eines Staatsbesuches in der Schweiz mit Bundespräsident Ogi auf dem Luganersee. 2000
Der Informationsgipfel ist zweigeteilt. 2005 geht er in Tunis weiter. Und wieder prägt ein Schweizer Bundespräsident das Geschehen. Samuel Schmid sagt den Machthabern in Tunis mutig ins Gesicht: «Es ist nicht akzeptabel – ich sage es unumwunden –, dass es noch UNO-Mitglieder gibt, die ihre Bürger einsperren, nur weil sie die Behörden im Internet oder in der Presse kritisiert haben.» Die Rede wird vom tunesischen Fernsehen zensiert.
Das bestimmte Auftreten ausländischen Amtskolleginnen und -kollegen gegenüber hat sich der Kandersteger schon früh zunutze gemacht. Ogi handelt nicht «säuselnd», sondern bestimmt, einmal diskret, dann wieder offen, den Umständen entsprechend. Vor allem in der aufgeheizten Stimmung Ende der Achtziger-, Anfang der Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als der Druck auf die Schweiz, die Schleusen für ausländische 40-Tonner zu öffnen, immer grösser wird. «Chum und Lueg»: Die bekannteste Episode dieser Einzelabreibungen der europäischen Verkehrsminister ist wohl der gewagte Helikopterflug zur Eigernordwand mit dem belgischen Amtskollegen Jean-Luc Dehaene. Dorthin, wo man nun wirklich keine neue Autobahn bauen könne …
Bestimmt ist auch das Auftreten gegenüber der holländischen Verkehrsministerin Hanja Maij-Weggen. Mit ihr muss Adolf Ogi während des bewährten Augenscheins in Wassen ins Kirchlein hinein, vor dem Kirchlein begreift sie es nicht. Sie will Ogi einfach nicht zuhören. Draussen stehe ihre Limousine, liest Ogi der Holländerin im Kirchlein von Wassen die Leviten.
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