Wüthrich, G: Dölf Ogi: So wa(h)r es!
Telefonhörer wäre, beziehungsweise ist in dieser Situation immer wieder besonders hilfreich.
Adolf Ogi befürwortet deshalb auch heute noch ein mehrjähriges Präsidium des Bundesrates. Sogar noch überzeugter als früher: «Wir können nicht mehr regieren wie 1848.» Sobald ein Schweizer «Einjahres-Bundespräsident» wichtige Kontakte geknüpft habe, müsse er seinen Gesprächspartnern mit Bedauern sagen: «Sehr nett, aber nächstes Jahr ist in der Schweiz eine andere oder ein anderer dran.» Das sei alles andere als im Interesse der Schweiz.
2000 Herzliche Umarmung zweier Bundesratsfreunde im Hotel Bellevue in Bern.
Kollegin Dreifuss
Fast sieben Jahre sitzen sie zusammen im Bundesrat. Zwischen Ruth Dreifuss und Adolf Ogi wächst eine Freundschaft, die weit über das übliche kollegiale Verhältnis in der Schweizer Landesregierung hinausgeht. «Mit Dölf habe ich die einzig wirklich freundschaftliche Beziehung innerhalb der Regierung aufbauen können», sagt Ruth Dreifuss in ihrer Genfer Wohnung an einem heissen Spätsommertag des Jahres 2011. «Dölf muss man einfach gernhaben.» Selbstverständlich fügt sie hinzu, dass die Beziehung mit allen anderen Bundesräten immer sehr kollegial gewesen sei. Aber Dölf und sie hätten sich immer gegenseitig vieles anvertrauen können, auch Themen, die jenseits aller Bundesratsgeschäfte liegen.
Dölf sei auch ein sehr treuer Mensch. Ausserdem habe er überhaupt nichts Hinterlistiges an sich. Hinterlist sei ein Charakterzug, den sie gar nicht möge. Dölf habe immer gewusst, dass sie ihn auch als Mensch sehr schätzt.
«Grüessech, Frau Dreifuss!», begrüsst der Bundesrat die ihm entgegenkommende Gewerkschaftssekretärin mit seinem typischen Ogi-Lächeln.
Schon die erste Begegnung ist speziell. Auf dem Trottoir der Berner Bundesgasse beim Bundeshaus West. Ruth Dreifuss arbeitet während dieser Zeit als Sekretärin beim Schweizer Gewerkschaftsbund. Niemand ahnt, dass diese besonnene, zielstrebige und doch so bescheidene Frau bald einmal in den Bundesrat gewählt wird. Ihre Wahl am 10. März 1993 geht als eine der turbulentesten und emotionalsten Bundesrats-Ausmarchungen in die Geschichte ein. Christiane Brunner, die offizielle Kandidatin der Sozialdemokraten, wird nicht gewählt. An ihrer Stelle kürt die Bundesversammlung ihren männlichen Parteikollegen Francis Matthey. Doch der muss auf Druck der Partei und nach heftigen Frauenprotesten auf das Amt verzichten und für Ruth Dreifuss den Weg frei machen.
«Grüessech, Frau Dreifuss!», begrüsst Bundesrat Adolf Ogi die ihm entgegenkommende Gewerkschaftssekretärin in seiner freundlichen Art und mit einem typischen Ogi-Lächeln. Ruth Dreifuss wundert sich und freut sich, dass sie der prominente Bundesrat überhaupt erkannt hat. Das habe sie damals sehr beeindruckt.
Unmittelbar nach der Wahl nimmt sich Bundespräsident Adolf Ogi der neuen Kollegin an. Damals ist sie die einzige Frau im Bundesrat. Der Bundespräsident lädt die «Neue» kurzerhand in den Landgasthof Sternen nach Grosshöchstetten ein. In einer ruhigen Ecke des schmucken Gasthofes im Emmental habe ihr Dölf die wichtigsten ungeschriebenen Regeln im Bundesrat vermittelt. Und mit grosser Liebenswürdigkeit habe er ihr alle Anfängerfragen beantwortet. Noch heute sagt sie: «Ich weiss nicht, ob es in vielen Ländern möglich wäre, dass sich der Präsident des Landes und eine Ministerin einfach zusammen in eine Ecke einer Wirtschaft auf dem Lande verziehen können.» Typisch Dölf, typisch Schweiz.
Der Beginn einer grossen Freundschaft. Sie lernen sich zusehends schätzen. Ruth Dreifuss spürt, wie sehr Dölf die Menschen liebt.
Mit klaren Worten erläutert der arrivierte Bundesrat, wie es in der Landesregierung laufen sollte. Wichtig sei in erster Linie eine vertiefte Auseinandersetzung in kollegialer Atmosphäre. Aber es gebe auch einfache Dinge zu berücksichtigen: Etwa dass man drei Wochen vorher die Anträge an den Bundesrat bei der Bundeskanzlei einreichen sollte. Und dass man seine eigene Meinung zu Anträgen der Kollegen im sogenannten Mitbericht-Verfahren nicht erst im letzten Moment bekannt gibt. Fairness, Fairness, Fairness. Und weiter: Manchmal müsse man halt rasch einen Kollegen anrufen, damit Differenzen möglichst schon vor der Bundesratssitzung ausgeräumt werden können. Hin und wieder brauche es dafür vielleicht auch einen gemeinsamen Kaffee im Büro.
Der Beginn einer grossen Freundschaft. Sie lernen sich zusehends schätzen.
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