Wunder
mir nicht gut. Es tut mir leid. Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben.« Das war eine Lüge.
»Das ist nur das Lampenfieber …«
»Nein, ich kann nicht! Ich sag’s Ihnen doch.«
Davenport sah fuchsteufelswild aus. »Miranda, das ist ungeheuerlich.«
»Es tut mir leid!«
Davenport atmete tief durch, als versuche er, sich in den Griff zu bekommen. Um ehrlich zu sein, er kam mir vor, als würde er jeden Moment in die Luft gehen. Seine Stirn wurde knallrot. »Miranda, das ist absolut inakzeptabel! Jetzt atme ein paar Mal tief ein und …«
»Ich trete nicht auf!«, sagte ich laut, und wie von selbst traten mir die Tränen in die Augen.
»Schön!«, brüllte er, ohne mich anzuschauen. Dann wandte er sich einem Jungen namens David zu, der auch für das Bühnenbild zuständig war. »Geh und hol Olivia aus der Beleuchtungskabine! Sag ihr, dass sie heute Abend Miranda vertreten muss!«
»Was?«, sagte David, der nicht der Hellste war.
»Geh!«, schrie ihm Davenport ins Gesicht. »Sofort!« Die anderen Schüler hatten mitbekommen, was vor sich ging, und versammelten sich.
»Was ist denn los?«, fragte Justin.
»Planänderung in letzter Minute«, sagte Davenport. »Miranda geht es nicht gut.«
»Mir ist schlecht«, sagte ich und versuchte, auch so zu klingen.
»Warum bist du dann immer noch hier?«, fragte mich Davenport wütend. »Hör auf herumzureden, zieh dein Kostüm aus und gib es Olivia! Okay? Na los, Leute! Los geht’s! Los! Los!«
Ich rannte, so schnell ich konnte, in die Garderobe hinter der Bühne und begann, mir das Kostüm abzustreifen. Zwei Sekunden später klopfte es, und Via öffnete die Tür einen Spalt.
»Was ist denn los ?«, fragte sie.
»Beeil dich, zieh es an!«, erwiderte ich und reichte ihr das Kleid.
»Bist du krank?«
»Ja! Beeil dich!«
Überrascht zog Via ihr T-Shirt und ihre Jeans aus und stülpte sich das lange Kleid über den Kopf. Ich streifte es für sie herunter und machte ihr hinten den Reißverschluss zu. Zum Glück tritt Emily Gibbs erst nach den ersten zehn Minuten des Stückes auf, sodass das Mädchen, das sich um Haare und Make-up kümmerte, Zeit genug hatte, um Vias Haare zu einem Knoten hochzustecken und sie rasch zu schminken. Ich hatte Via noch nie stark geschminkt gesehen: Sie sah aus wie ein Model.
»Ich weiß gar nicht, ob mir mein ganzer Text einfallen wird«, sagte Via und schaute sich selbst im Spiegel an. » Dein Text.«
»Du wirst das ganz toll machen«, sagte ich.
Sie blickte mich im Spiegel an. »Warum tust du das, Miranda?«
»Olivia!« Es war Davenport, der ihr flüsternd von der Tür aus zuzischte. »Du bist in zwei Minuten dran. Jetzt oder nie!«
Via folgte ihm zur Tür hinaus, sodass ich nicht die Chance bekam, ihre Frage zu beantworten. Ich weiß sowieso nicht, was ich gesagt hätte. Ich war mir selbst nicht sicher, was die richtige Antwort gewesen wäre.
Die Aufführung
Ich schaute mir den Rest des Stückes von der Gasse an der Seite der Bühne an, neben Davenport. Justin war fantastisch, und Via war in der herzzerreißenden Schlussszene einfach grandios. Es gab eine Zeile, bei der sie sich etwas verhaspelte, aber Justin sprang für sie ein, und im Publikum fiel es niemandem auf. Ich hörte, wie Davenport »Gut, gut, gut« vor sich hin flüsterte. Er war nervöser als alle Schüler zusammen: die Schauspieler, die Bühnenarbeiter, das Beleuchtungs-Team, der Typ, der den Vorhang bediente. Davenport war, ehrlich gesagt, ein nervliches Wrack.
Der einzige Moment, in dem ich so etwas wie Bedauern empfand, wenn man es überhaupt so nennen kann, war das Ende des Stückes, als alle zum Verbeugen nach vorn traten. Via und Justin waren die Darsteller, die als Letzte auf die Bühne gingen, und das Publikum erhob sich, als sie ihre Verbeugungen machten. Das war, ich geb’s zu, ein bisschen bitter für mich. Aber nur ein paar Minuten später erblickte ich Nate und Isabel und Auggie, wie sie hinter die Bühne kamen, und sie sahen alle so glücklich aus. Alle gratulierten den Darstellern und klopften ihnen auf die Schultern. Es war dieses verrückte Backstage-Theater-Chaos, in dem verschwitzte Schauspieler euphorisch dastehen, während die Leute zu ihnen kommen, um sie für ein paar Sekunden anzuhimmeln. In dem ganzen Geschiebe von Leuten fiel mir auf, dass Auggie aussah, als hätte er sich verlaufen. Ich drängte mich so schnell ich konnte durch die Menge und tauchte direkt hinter ihm auf.
»Hey!«, sagte ich. »Major Tom!«
Nach der
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