Wunder
Vorstellung
Ich kann nicht in Worte fassen, warum es mich so glücklich machte, August nach so langer Zeit wiederzusehen, oder wie gut es sich anfühlte, als er mich umarmte.
»Unglaublich, wie groß du geworden bist«, sagte ich zu ihm.
»Ich dachte, du spielst im Stück mit!«
»Es ging mir nicht gut«, sagte ich. »Aber Via war toll, findest du nicht?«
Er nickte. Zwei Sekunden später entdeckte uns Isabel.
»Miranda!«, sagte sie glücklich und gab mir einen Kuss auf die Wange. Und dann wandte sie sich an August: »Verschwinde nie wieder einfach so.«
»Du bist doch einfach verschwunden«, erwiderte August.
»Wie fühlst du dich denn?«, sagte Isabel zu mir. »Via hat uns erzählt, dass dir schlecht geworden ist …«
»Schon viel besser«, antwortete ich.
»Ist deine Mom hier?«, fragte Isabel.
»Nein, sie hatte noch was auf der Arbeit zu tun, deshalb ist es auch keine große Sache für mich«, sagte ich ehrlich. »Wir haben sowieso noch zwei Vorstellungen, auch wenn ich nicht glaube, dass ich so gut sein werde wie Via heute Abend.«
Nate kam herüber, und wir führten praktisch dasselbe Gespräch gleich noch mal. Dann sagte Isabel: »Hör mal, wir veranstalten noch ein spätes Abendessen, um die Aufführung zu feiern. Geht’s dir gut genug, um mitzukommen? Wir hätten dich so gern dabei.«
»Oh, nein …«, fing ich an.
»Biiiiiiitte«, sagte Auggie.
»Ich sollte nach Hause fahren«, sagte ich.
»Wir bestehen darauf«, sagte Nate.
Inzwischen waren Via und Justin zusammen mit Justins Mom dazugestoßen, und Via legte ihren Arm um mich.
»Du kommst auf jeden Fall mit«, sagte sie und lächelte mich mit ihrem alten Lächeln an. Sie begannen, mich aus der Menschenmenge hinauszuführen, und ich muss zugeben: Zum ersten Mal seit sehr, sehr langer Zeit fühlte ich mich absolut glücklich.
8
August
You’re gonna reach the sky
Fly … beautiful child
Du wirst den Himmel erreichen
Flieg … wunderschönes Kind
Eurythmics, »Beautiful Child«
Die Fahrt ins Reservat
Jedes Jahr machen die Fünftklässler der Beecher Prep eine Jahrgangsfahrt für drei Tage und zwei Nächte ins Broarwood-Naturreservat in Pennsylvania. Man braucht vier Stunden mit dem Bus, bis man dort ist. Die Schüler schlafen in Hütten mit Stockbetten darin. Es gibt Lagerfeuer, und man isst Cracker mit gerösteten Marshmallows und macht lange Wanderungen durch den Wald. Die Lehrer haben uns schon das ganze Jahr darauf eingestimmt, also freuen sich alle Schüler im Jahrgang darauf – außer mir. Und es ist nicht einmal so, dass ich mich nicht freue, denn das tue ich schon irgendwie – ich hab bloß noch nie woanders geschlafen als zu Hause, und deshalb bin ich ziemlich nervös.
Die meisten Kinder haben in meinem Alter schon mal bei Freunden übernachtet. Viele sind in Ferienlagern gewesen oder haben Zeit bei ihren Großeltern verbracht oder so. Ich nicht. Außer man schließt Krankenhausaufenthalte mit ein, aber selbst da blieben Mom oder Dad immer nachts bei mir. Bei Tata und Poppa habe ich aber nie übernachtet und auch nicht bei Tante Kate und Onkel Porter. Als ich noch ganz klein war, lag das vor allem daran, dass es zu viele medizinische Probleme gab, zum Beispiel musste mein Tubus jede Stunde gereinigt werden, oder man musste meine Magensonde richten, wenn sie verrutscht war. Und als ich größer wurde, hatte ich einfach keine Lust, irgendwo anders zu schlafen. Einmal hätte ich beinahe bei Christopher übernachtet. Da waren wir ungefähr acht und immer noch beste Freunde. Meine Familie war zu Besuch bei ihm und seinen Eltern, und Christopher und ich hatten so viel Spaß beim Star-Wars -Lego-Spielen, dass ich nicht wegwollte, als es Zeit war, nach Hause zu fahren. Und dann bettelte ich: »Bitte, bitte, bitte, kann ich hier übernachten?« Also sagten unsere Eltern Ja, und Mom und Dad und Via fuhren nach Hause. Christopher und ich blieben bis Mitternacht wach und spielten, bis Lisa, seine Mom, sagte: »Okay, Jungs, Zeit ins Bett zu gehen.« Na ja, und in dem Moment hab ich ein bisschen Panik gekriegt. Lisa wollte mir helfen, mich bettfertig zu machen, aber ich fing bloß an zu weinen, dass ich nach Hause wollte. Also rief Lisa um ein Uhr nachts Mom und Dad an, und Dad fuhr den ganzen Weg zurück nach Bridgeport, um mich abzuholen. Wir waren erst um drei Uhr morgens zu Hause. Mein erstes und bis heute einziges Übernachten bei anderen Leuten war also eine ziemliche Katastrophe,
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