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Wunder

Wunder

Titel: Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R.J. Palacio
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Stelle hörte ich auf. Ich hatte seit über einer Stunde gelesen, und der Schlaf kam noch immer nicht. Es war beinahe zwei Uhr nachts. Alle anderen schliefen. Ich hatte unter meinem Schlafsack die Taschenlampe an, und vielleicht konnte ich wegen des Lichts nicht einschlafen, aber ich fürchtete mich zu sehr, um es auszuschalten. Ich fürchtete mich davor, wie dunkel es außerhalb des Schlafsacks war.
    Als wir zurückkamen, war überhaupt keinem aufgefallen, dass wir weg gewesen waren. Mr. Pomann und Miss Rubin und Summer und alle anderen schauten sich einfach nur den Film an. Sie hatten keine Ahnung, dass mir und Jack beinahe etwas Schlimmes zugestoßen war. Es ist doch verrückt, wie so was sein kann: wie man die schlimmste Nacht seines Lebens durchmachen kann, und für alle anderen ist es nur eine ganz normale Nacht. Also, auf meinem Kalender zu Hause werde ich mir diesen Tag als einen der schrecklichsten in meinem ganzen Leben eintragen. Zusammen mit dem Tag, an dem Daisy gestorben ist. Aber für den Rest der Welt war das nur ein ganz normaler Tag. Vielleicht sogar ein guter. Vielleicht hatte heute jemand im Lotto gewonnen.
    Amos, Miles und Henry brachten Jack und mich zu der Stelle zurück, an der wir vorher gesessen hatten, bei Summer und Maya und Reid. Und dann gingen sie an ihre früheren Plätze zurück, wo Ximena und Savanna und ihre Clique hockten. In gewisser Weise war alles ganz genau so, wie es gewesen war, als wir losgingen, um die Toiletten zu suchen. Der Himmel war derselbe. Der Film war derselbe. Die Gesichter von allen waren dieselben. Auch meins.
    Aber etwas war anders. Etwas hatte sich verändert.
    Ich konnte sehen, wie Amos und Miles und Henry ihren Leuten erzählten, was sich gerade ereignet hatte. Ich wusste, dass sie davon sprachen, weil sie beim Reden ständig zu mir herüberschauten. Obwohl immer noch der Film lief, flüsterten die Leute darüber im Dunkeln. Solche Neuigkeiten machen schnell die Runde.
    Es war das, worüber alle auf der Busfahrt zurück zu unseren Hütten redeten. Alle Mädchen, sogar Mädchen, die ich gar nicht besonders gut kannte, fragten mich, ob ich okay sei. Die Jungs sprachen alle davon, Rache an der Gruppe der miesen Siebtklässler nehmen zu wollen, und versuchten herauszufinden, von welcher Schule sie kamen.
    Ich hatte nicht vor, den Lehrern irgendwas von dem zu erzählen, was passiert war, aber sie fanden es trotzdem heraus. Vielleicht lag es am zerrissenen Pulli oder am blutigen Ellbogen. Vielleicht lag’s auch nur daran, dass Lehrer immer alles mitbekommen.
    Als wir ins Camp zurückkamen, nahm mich Mr. Pomann mit in den Erste-Hilfe-Raum, und während mir der Ellbogen von der Camp-Krankenschwester gesäubert und verbunden wurde, sprachen Mr. Pomann und der Camp-Direktor nebenan mit Henry und Miles und versuchten, eine Beschreibung der Übeltäter zu bekommen. Als er mich etwas später nach ihnen fragte, sagte ich, ich könne mich überhaupt nicht an ihre Gesichter erinnern. Doch das stimmte nicht.
    Es waren ihre Gesichter, die ich jedes Mal sah, wenn ich die Augen zum Schlafen zumachte. Der Ausdruck totalen Entsetzens auf dem Gesicht des Mädchens, als sie mich zum ersten Mal erblickte. Die Art, wie der Junge mit der Taschenlampe, dieser Eddie, mich anschaute, als er mit mir sprach, als würde er mich hassen.
    Wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird. Ich erinnerte mich, wie Dad das vor Ewigkeiten gesagt hatte, aber in dieser Nacht, glaube ich, verstand ich endlich, was es bedeutet.

Nachspiel
     
    Mom wartete zusammen mit all den anderen Eltern vor der Schule auf mich, als der Bus ankam. Mr. Pomann erzählte mir auf der Heimfahrt, dass sie meine Eltern angerufen hatten, um ihnen mitzuteilen, dass es am Abend zuvor einen »Vorfall« gegeben habe, dass aber alles in Ordnung sei. Er sagte, der Camp-Leiter und mehrere der Betreuer seien am Morgen losgegangen und hätten die Hörgeräte gesucht, während wir im See schwimmen gewesen waren, aber sie hatten sie nirgends finden können. Broarwood würde uns die Kosten für die Hörgeräte erstatten, sagte er. Sie hatten ein schlechtes Gewissen wegen allem, was passiert war.
    Ich fragte mich, ob Eddie meine Hörgeräte mitgenommen hatte – als eine Art Souvenir. Ein Erinnerungsstück an den Ork.
    Mom umarmte mich fest, als ich aus dem Bus ausgestiegen war, aber sie überhäufte mich nicht mit Fragen, wie ich es erwartet hatte. Ihre Umarmung fühlte sich gut an, und ich schüttelte sie nicht ab, wie es einige

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