Wunder
als Mom ihn zum ersten Mal sah, sagte sie, er sehe genau wie ein kleines Bärenjunges aus. Ich sagte: »So sollten wir ihn nennen!«, und auch alle anderen fanden, dass es der perfekte Name war.
Den nächsten Tag nahm ich mir schulfrei – nicht weil mein Ellbogen wehtat, was der Fall war, sondern damit ich den ganzen Tag mit Bär spielen konnte. Mom ließ auch Via zu Hause bleiben, also wechselten wir zwei uns immer damit ab, Bär zu knuddeln und Tauziehen mit ihm zu spielen. Wir hatten alle alten Spielzeuge von Daisy behalten, und nun holten wir sie hervor, um zu sehen, welche ihm am besten gefielen.
Es machte Spaß, den ganzen Tag mit Via zu verbringen, nur wir zwei. Es war wie früher, wie zu der Zeit, als ich noch nicht zur Schule ging. Damals konnte ich es nie abwarten, bis sie von der Schule nach Hause kam, sodass sie mit mir spielen konnte, bevor sie mit ihren Hausaufgaben begann. Jetzt, wo wir älter sind und ich auch zur Schule gehe und eigene Freunde habe, mit denen ich Zeit verbringe, kommt es überhaupt nicht mehr vor.
Deshalb war es schön, Zeit mit ihr zu haben, zu lachen und zu spielen. Ich glaube, ihr hat es auch gefallen.
Die Verschiebung
Als ich am nächsten Morgen wieder zur Schule ging, war das Erste, was mir auffiel, dass sich die Dinge ziemlich verändert hatten. Es war eine gigantische Verschiebung, vielleicht sogar eine kosmische. Wie man’s auch nennen will, alles war anders geworden. Alle – nicht nur die Schüler in unserem Jahrgang, sondern die in allen Jahrgängen – hatten gehört, was uns mit den Siebtklässlern zugestoßen war, und so war ich plötzlich nicht mehr für das bekannt, wofür ich immer bekannt gewesen war, sondern für diese andere Sache, die gerade passiert war. Und die Geschichte war jedes Mal, wenn sie jemand erzählt hatte, größer und größer geworden. Zwei Tage später hieß es bereits, dass Amos sich mit dem anderen Jungen einen richtigen Faustkampf geliefert hätte und dass auch Miles und Henry und Jack den anderen Typen eine ordentliche Abreibung verpasst hätten. Und aus der Flucht durch das Feld war ein ganzes, langes Abenteuer durch ein Maislabyrinth und die tiefdunklen Wälder geworden. Jacks Version der Geschichte war vermutlich die beste, weil er sie so witzig erzählen konnte, aber egal, welche Version es war oder wer sie erzählte, zwei Dinge blieben immer gleich: Ich wurde wegen meines Gesichts fertiggemacht, und Jack, Amos, Henry und Miles verteidigten mich. Und nun, da sie mich verteidigt hatten, war ich für sie ein anderer geworden. Es war, als wäre ich einer von ihnen. Sie nannten mich jetzt alle »Kleiner Mann« – sogar die Sportler. Diese riesigen Typen, die ich vorher kaum gekannt hatte, begrüßten mich jetzt in den Fluren Faust an Faust.
Eine weitere Folge von alldem war, dass Amos total beliebt wurde und Julian, weil er all das verpasst hatte, total aus dem Rennen war. Miles und Henry hingen jetzt die ganze Zeit mit Amos ab, als hätten sie ihren besten Freund ausgetauscht. Ich würde gern sagen, dass auch Julian anfing, mich besser zu behandeln, aber das wäre nicht wahr. Er warf mir immer noch fiese Blicke quer durch die Klasse zu. Noch immer redete er weder mit mir noch mit Jack. Aber er war jetzt der Einzige, der sich so verhielt. Und mir und Jack war es nun wirklich total egal.
Die Ente
Am Tag vor dem Schuljahresende bestellte mich Mr. Pomann in sein Büro, um mir zu sagen, dass man die Namen der Siebtklässler von der Jahrgangsfahrt herausgefunden hatte. Er las einen Haufen Namen vor, die mir nichts sagten, und dann nannte er den letzten: »Edward Johnson.«
Ich nickte.
»Erkennst du den Namen?«, fragte er.
»Sie nannten ihn Eddie.«
»Gut. Nun, man hat das hier in Edwards Schließfach gefunden.« Er reichte mir die Überreste von meiner Hörgeräte-Konstruktion. Das rechte Hörgerät fehlte komplett und das linke war völlig zerdrückt. Der Bügel, der beide miteinander verband, der Lobot-Teil, war in der Mitte eingeknickt.
»Seine Schule möchte wissen, ob du Anzeige gegen ihn erstatten willst«, sagte Mr. Pomann.
Ich schaute mein Hörgerät an. »Ich glaub nicht.« Ich zuckte mit den Schultern. »Es sind sowieso schon neue angepasst worden.«
»Hmm. Warum sprichst du nicht erst einmal heute Abend mit deinen Eltern darüber? Ich rufe deine Mom morgen an und rede auch noch mal mit ihr.«
»Müssten die ins Gefängnis?«, fragte ich.
»Nein, nicht ins Gefängnis. Aber vor den Jugendrichter kämen sie
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