Wunderbare Fahrten und Abenteuer der kleinen Dott
war!
»Doch! Gerade im Sumpfland werden sie
ackern!« erwiderte das Männchen. »Diese Männer dürfen nämlich nur in
fieberreichen Brüchen und im Urwald siedeln! Hast du nie etwas von den
Zisterziensern gehört? Sie haben gelobt, ihre Klöster niemals in der Nähe von
festen Burgen oder in der Nähe richtiger Landstraßen anzulegen oder da, wo der
Boden bereits bearbeitet worden ist. Die Askanier haben sie aus dem Westen
gerufen, damit sie die Erde vorbereiten und den Siedlern aus dem Westen in der
neuen Heimat beistehen und den Wenden raten und helfen! Dreh dich doch einmal
um!«
Dott schaute rasch auf die andere Seite
— da stand die Kirche wieder vor der Kleinen, aus nichts anderem erbaut als aus
den roten Ziegeln des märkischen Bodens. Breit und machtvoll stand sie da. Und
doch war sie mit ihren hohen Fenstern, mit ihren Bogen und Rosetten und dem
zierlichen Schmuckwerk der Giebel wie eine feine, kunstvolle Stickerei aus
Stein. Als die Kleine ihre Augen weiter umhergehen ließ, sah sie, daß sie
mitten in einem Garten stand.
Ja, wo noch soeben Bruchland gewesen
war, da stand jetzt ein Wald von Obstbäumen und dazwischen Spaliere mit echtem
Wein. Und in der schwarzen Gartenerde, da war ja alles, was sie in den Tonnen
gesehen hatte! — Da prunkten die roten und weißen Kohlköpfe mit ihren fetten breiten
Blättern, und da waren die Salate und Karotten und Zwiebeln und Bohnen und
Erbsen! Und das alles dampfte von Fruchtbarkeit und würzigen Kräutern, und
überall summten die Bienen über den Blumenbeeten, die sich mit ihren glühenden
Farben zwischen den Gemüsen hindurchzogen. —
»Wie schön!« sagte sie und atmete tief
auf. — »Darf ich mir eine Rose pflücken? Nur ein Rosenknöspchen?« Das Männchen
nickte.
»Nun weißt du, was für kostbare Schätze
diese Männer aus dem Westen zu uns in die Mark gebracht haben!« sagte das
Männchen zufrieden. »Denn wären nicht die Zisterzienser mit ihren neuesten
Erfahrungen im Gartenbau aus dem Mutterkloster in Frankreich gewesen, so hätten
die Märker in den vergangenen Jahrhunderten auf ihrer kargen Erde wohl keine
Früchte und kein Gemüse ziehen können! Aber komm jetzt, sie sind ja schon alle
in der Kirche!«
Und ohne viel zu fragen, packte er
wieder die Hand der Kleinen und zog sie hinter sich her und in die Kirche
hinein.
Die war wieder nichts anderes als eine
Ruine.
Aber das Innere des Kirchenschiffes war
nicht mehr leer und dunkel wie am Abend zuvor.
Da, wo einst der Altar war, brannten
jetzt viele Kerzen. Und davor standen Ritter in silbernen Rüstungen und seidengestickten
Mänteln, fürstliche Gestalten, die Mächtigen, die Hüter des Landes!
»Das sind die Askanierfürsten, die
Nachkommen Albrechts des Bären«, flüsterte das Männchen neben Dott. »Diese sind
es, welche die Zisterzienser in die Mark gerufen haben!«
Hinter den Rittern drängten sich die
Bauern, Kopf an Kopf, deutsche und wendische Bauern, Männer, Frauen und Kinder
in der Tracht der alten Zeiten.
Auf der anderen Seite der Kerzen aber,
dicht am Altäre, sah die Kleine die Mönche stehen. Sie trugen jetzt weiße
wollene Gewänder. Feierlich standen sie da in einem Halbkreis, und nun begannen
alle ein Lied zu singen, das klang dunkel und schwer:
»Sei uns gnädig,
erlöse uns, o Herr,
von deinem Zorne
erlöse uns, o Herr,
von Pest, Hunger und Krieg
erlöse uns, o Herr...«
Dott wußte nicht, daß sie soeben die
tausendjährige Allerheiligen-Litanei der Kirche für die ganze Erde und für
alles Lebendige auf ihr mitanhören durfte. Die Stimmen wurden leiser. Die
Kerzen erloschen; Rauch stieg von ihnen auf — und plötzlich war alles
verschwunden...
Die Kleine reckte sich auf. Sie war
allein. Mit hellen Augen blickte sie in den Tag.
Der Rote Adler
Nachdem Gurian auch die Jungreiher des
ganzen Odergebietes in seinen Zug aufgenommen hatte, konnte er seine Reise
südwärts fortsetzen. Sie flogen nun schon in zwei Reihen, die eine etwas
zurückbleibend neben dem Zuge Gurians. Es waren bereits viele junge Reiher, die
Gurian für den großen Sommerflug nach Ungarn in seinem Schwarm vereint hatte. —
Der Himmel war wolkenlos und herrlich
blau. Die Kleine konnte alles bis in die Ferne hinein erkennen. Zu ihrer Linken
sah sie den glitzernden, breiten Strom der Oder mit dem hohen Steilufer auf der
anderen Seite, unter ihnen aber lag der lange, niedrige Dünenzug im Westen der
Oder, mit seinen Wäldern und Städten.
Bei Wriezen ließen sie die
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