Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
helfen. »Alle Habseligkeiten Ihres Freundes habe ich persönlich an seine Witwe Hannah Stuckmann übergeben und sie hat mir oft genug am gestrigen Tage gedankt. Nur Sie, Sie habe ich gestern nicht gesehen. Und seien Sie bitte ehrlich. Der Anlass ist zu traurig, um zu lügen.«
Beeindruckend, dachte Nikolas. Jemand, der sich zum Überlegen Zeit nimmt und nicht aus einem wilden Impuls eine Entscheidung trifft. Er kratzte sich am Kopf und wollte es mit der Wahrheit versuchen.
»Ich kenne Erik … Herrn Stuckmann eine halbe Ewigkeit. Drogen, Selbstmord, das war nicht er. Das ist so weit von ihm weg wie der Tag von der Nacht. Ich versuche einfach rauszufinden, was ihn dazu getrieben hat, wie es so weit kommen konnte.«
Varusbach faltete die Hände. »Das verstehe ich natürlich. Aber bedenken Sie, zwischen Tag und Nacht liegt die Dämmerung. Selbst Menschen, die wir lange kennen, können wir lediglich vor die Stirn gucken. Er hatte als Chemiker Zugang zu einer beachtlichen Menge an Substanzen. Dazu gehören natürlich auch Drogen, welche die Gehirnchemie verändern. Er hätte sie unbemerkt nehmen können. Ich kenne Fälle, bei denen die Wandlung schleichend verlief. Über Jahre hinweg, unbemerkt von Freunden und Familie. Verstehen Sie mich nicht falsch, sein Freitod ist für mich genauso unverständlich wie für Sie. Die gesamte Abteilung steht unter großem Druck von oben. Und damit meine ich von ganz oben.«
»Sie können mir nicht sagen, woran er gearbeitet hat?«
Varusbach hob die Hände und ließ Luft durch den Mund entweichen. »Nur ein kleiner Teil unserer Arbeit unterliegt der Geheimhaltungsstufe. Hauptsächlich die Forschung und Rüstungsprojekte. Wir haben Rahmenverträge mit der Wehrmacht und einigen anderen Organisationen, müssen Sie wissen. Alles Weitere kommt der Allgemeinheit zugute und ist zum Wohl des Volkes.«
»Und welcher Abteilung war Erik Stuckmann zugewiesen?«, hakte Nikolas nach.
»Er forschte nach neuen chemischen Verbindungen für Gummi«, erklärte Varusbach mit fester Stimme und legte die Stirn in Falten, als wolle er sagen, dass es keine große Sache war. »Vulkanisierter Kautschuk, hauptsächlich für robustere Reifen. Weniger Abrieb, längere Haltbarkeit. Natürlich war dies auch für die Wehrmacht vorgesehen. Doch alles in allem keine Sache, die einem den Schlaf rauben sollte.«
Beinahe ein wenig enttäuscht senkte Nikolas den Kopf. Ihm war bewusst, er würde keine weiteren Informationen bekommen. »Da haben Sie allerdings recht«, murmelte er. »Ist Ihnen sonst irgendwas aufgefallen?«
»Nur das, was ich am gestrigen Tag schon Frau Stuckmann gesagt habe. Er wirkte in letzter Zeit unkonzentriert, nicht er selbst. Ich habe ihm ja sogar geraten, weniger zu arbeiten. Aber er war wie besessen. Irgendetwas schien ihn sehr belastet zu haben.«
Dann stand er auf. »Es tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte. Arbeiten Sie hart weiter, damit sein Tod nicht umsonst war«, sagte er väterlich und legte ihm die Hand auf die Schulter. Anschließend begleitete er Nikolas aus dem Büro. »Besonders jetzt müssen wir alle Kräfte mobilisieren. Aber das wissen Sie natürlich selbst, Herr Kriminalkommissar.«
Vor der Tür wartete bereits Bötcher und sah Nikolas missbilligend an.
Varusbach reichte Nikolas die Hand. »Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen.«
»Danke, ebenfalls.« Er hatte seine Antworten. Sie waren weder befriedigend noch halfen sie, dieses andauernde Pochen an der Schwelle seines Unterbewusstseins zu beseitigen, aber wahrscheinlich war das einfach die Wahrheit. Wunsch und Wirklichkeit lagen hier weit auseinander. Er war froh, als er die Tür seines Dienstwagens schließen konnte und dem beißenden Gestank eine Barriere entgegensetzte.
Er erwischte sich dabei, wie er langsamer fuhr. Doch irgendwann waren die beiden Haupttürme der St.-Antonius-Kirche zu Oberkassel nicht mehr weit entfernt und warfen ihren Schatten über die Luegallee. Nikolas parkte seinen Wagen. Als er ausstieg, peitschte ihm der Wind ins Gesicht.
Er sah sich in alle Richtungen um. Kein bekanntes Gesicht war auf der Magistrale zugegen, aber Dutzende Erinnerungen wurden wiedererweckt. So sehr ihn eine kleine Sehnsucht in sein Elternhaus trieb, umso mehr wollte sein Körper einfach nur weglaufen. Nikolas richtete seine Kleidung, bevor er die Türklingel betätigte. Selbst das Türschild hatte er ausgewechselt. Aus ›Familie Brandenburg‹ war ›Eduard Brandenburg‹ geworden. Es dauerte
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