Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
dich an Hauptsturmführer Luger halten.« Sein Vater nahm einen weiteren Schluck und zischte, als der Selbstgebrannte seine Speiseröhre herunterlief. »Guter Mann – man hört zumindest nur Positives.«
War es eben noch ein Schmerz, der den Ursprung in seinem Magen fand, brannte dort jetzt ein höllisches Inferno. Luger, ausgerechnet Luger.
»Ja, Vater, wir arbeiten eng zusammen und ich lerne viel von ihm.«
»Anscheinend nicht genug«, flüsterte er abfällig.
Das war zu viel. In einem Zug schlug Nikolas auf den Tisch und stand auf.
»Läufst du wieder weg?«, polterte sein Vater ihm hinterher. »Wo geht es diesmal hin, mein Sohn? Wieder Paris? Oder Berlin? Vielleicht Wien, oder gar Tokio?«
»Nur in mein Zimmer!« Mit einer Drehung fasste er sich an den Kopf. Für einen Wimpernschlag trafen sich ihre Blicke. Nikolas’ Gesicht schien in Flammen zu stehen, während die Sätze aus ihm heraussprudelten wie Lava aus einem Vulkan: »Ich habe deine ewigen Anschuldigungen satt. Darum bin ich abgehauen. Darum habe ich die Koffer gepackt, habe Lisa mitgenommen und mich nach Paris versetzen lassen. Ich wollte weg von deinen ewigen Nörgeleien, deinen Prüfungen und dem Leben, was eigentlich gar nicht meins war. Falls es dir nicht aufgefallen ist, ich wollte weder Lisa heiraten noch Kriminalbeamter werden.«
Sein Vater hatte sich die Worte ruhig, ohne eine Miene zu verziehen, angehört. »Natürlich nicht, du wolltest lieber Künstler werden.« Er trank einen großen Schluck. »Aber mit ein wenig Gekritzel kann man leider keine Familie ernähren und keinen Krieg gewinnen.«
»Architekt.« Nikolas schüttelte den Kopf. »Du hast es immer noch nicht verstanden. Mutter hingegen schon. Sie hat gesehen, dass du durch mich dein Leben weiterleben wolltest. Sie hätte nie zugelassen …«
Krachend flog der Teller an die Wand. »Aber sie ist tot!«, schrie sein Vater. Seine Augen verengten sich. »Ich konnte einfach nicht mitansehen, wie mein einziger Sohn ohne Frau und ohne einen vernünftigen Beruf dasteht. Ich bin der Einzige, der dich vor einem Leben in der Gosse bewahrt hat!«
Nikolas stemmte die Hände in die Hüften und ließ erschöpft seinen Kopf sinken. Nach einer Explosion folgt Leere. Sein Körper fühlte sich kraftlos an. Vater hatte es nicht verstanden, würde es wahrscheinlich nie. Der Vater, den er bewundert hat, den alle bewunderten, war ein verbitterter, alter Mann geworden. Im selben Moment schämte er sich für seine Gedanken und für seine Flucht, aber was blieb ihn anderes übrig? Mit jedem weiteren Tag hier wäre er weniger er selbst und mehr zu seinem Vater geworden.
»Ich hole meinen Koffer aus dem Wagen und gehe nach oben«, flüsterte er leise und machte auf den Absatz kehrt.
»Nikolas!«
War er etwa endlich zur Einsicht gekommen? Hatte seine Ansprache ihn zum Nachdenken gebracht? Hoffnungsvoll drehte er sich um. »Ja, Vater?«
Er klang vollkommen desinteressiert. »Auf der Kommode liegt ein Brief, von diesem Pfarrerslümmel, der vor Kurzem gestorben ist. Ist vor ein paar Tagen erst eingeworfen worden.«
Nikolas brauchte einen Moment, um die Worte zu verstehen. Er hastete in den Flur. Tatsächlich, ein Brief, an ihn adressiert. Aber die Anschrift seines Vaters. Seine Hände begannen zu zittern. Hastig holte er den Koffer aus dem Wagen und schloss sich in sein altes Zimmer ein. Hier war nichts mehr außer einem Bett und einem leeren Schrank. Nichts war mehr geblieben von dem hellen und bunten Kinderzimmer, das er einst bewohnt hatte. Zusammen mit dem Koffer warf er sich auf das knarrende Bett. Er drehte den Briefumschlag in seiner Hand. Er war mehrmals eingerissen und die Seiten ausgefranst. Nikolas knurrte nachdenklich. Diese Vorgehensweise kam ihn seltsam bekannt vor. Bei der Kripo, wie auch bei der SS, war es normal, den Briefverkehr zwischen verdächtigen Personen zu kontrollieren. Erik kannte seine Adresse in Frankreich nicht, deshalb hatte er den Brief hierher gesandt. Nikolas’ Mund war staubtrocken, als er den Brief öffnete. Die Handschrift seines Freundes war immer fein säuberlich, beinahe pedantisch gewesen, er hätte Kalligrafie unterrichten können. Doch jetzt hatte Nikolas Mühe das Gekritzel, das lediglich wenige Zeilen füllte, zu entziffern. Erik musste sehr in Eile gewesen sein. Als Erstes fiel Nikolas das Datum auf und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Es war datiert auf den 04. März 1944, Eriks Todestag.
Lieber Nikolas,
ich hoffe, dass wir uns
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