Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
Nikolas fuhr, standen die Gebäude noch. Während das Leben auf den Straßen von grotesker Normalität durchzogen war, fragte er sich, wie lange man diesen Schein noch aufrechterhalten können würde.
Auf dem Werksgelände der IG Farben empfang man ihn freundlich. Als er sich als Kriminalbeamter auswies, wurden die Pförtner geradezu herzlich. Nach mehreren Telefonaten wurde er von vier Uniformierten des Werkschutzes abgeholt und durch die riesigen Anlagen mit den tonnenschweren Kesseln und glutroten Heizöfen geführt. Auf eisernen Gleisen kroch eine alte Lokomotive schnaubend in die Werkshallen. Das laute Dröhnen der schweren Maschinen drang schmerzend in seine Ohren und vermengte sich mit dem Kreischen der Seilzugketten zu einer ganz eigenen Melodie. Überall stank es nach verschiedensten Chemikalien. Schließlich wurde er in ein großräumiges Büro geführt, vor dem es von SS- und SA-Soldaten nur so wimmelte. Allen Anschein nach hatte diese Firma ihren eigenen Sicherheitsapparat geschaffen. Kein Wunder, bei der Wichtigkeit dieser Interessengemeinschaft. Der Chef des Werkschutzes war ein hagerer Mann mit schütterem Haar, jedoch war sein Blick stechend und Nikolas hatte Probleme, ihm länger in die Augen zu sehen.
»So«, sagte er mit breitem, niederrheinischem Akzent, dass man ihn für einen Bauer halten konnte. »Was können wir denn für den Herrn Kriminalkommissar Brandenburg tun?«
»Einer Ihrer Mitarbeiter, Erik Stuckmann, ist vor ein paar Tagen gestorben.«
Er studierte Nikolas’ Ausweis genau. »Hier steht, dass sie in Frankreich eingesetzt sind. Was interessiert die Pariser Kripo Leverkusen?«
Er hatte keine besondere Lust, sich auf ein Wortgefecht einzulassen, nur um danach unzählige Papiere ausfüllen zu müssen und am Ende doch nicht mit Varusbach reden zu dürfen. Hier benötigte es eine andere Strategie. Absichtlich sah Nikolas zu Boden und ließ seine Stimme stocken. Leider war dieses Verhalten näher an der Wahrheit, als er zugeben wollte. »Wir sind alte Freunde. Ich habe ein paar Tage Heimaturlaub und komme im Auftrag seiner Frau, um ein paar persönliche Sachen abzuholen und Obersturmbannführer Varusbach ihren Dank für seine Hilfe auszudrücken.« Nikolas hob entwaffnend die Hände. »Ich komme also nicht als Beamter, sondern als Freund der Familie.«
Der Mann hinter dem Schreibtisch kaute auf seiner Lippe. »Einen Moment bitte«, sagte er nach einiger Zeit und verließ das Büro. Schnell kam er zurück, lächelte matt und bat Nikolas, ihm zu folgen. Ein weiteres Mal wurde er durch den Irrgang des Werkes geführt. Ihm fiel auf, dass die Wachmannschaften hier sogar automatische Waffen trugen. Nach zwei weiteren Überprüfungen wurde er tief ins Innere des Areals geführt. Waren die Mitarbeiter in den äußeren Bezirken gut gekleidet und wohlgenährt, wandelten hier lebende Leichen über das Gelände. Auf ihrer dreckigen und zerschlissenen Kleidung waren die Buchstaben P und R zu lesen. Immer begleitet von bewaffneten Aufsehern.
»Wofür stehen diese Buchstaben?«, wollte Nikolas in Richtung des Werkschutzmitarbeiters wissen.
Nur kurz blickte der Mann sich um. »P bedeutet Pole, R Russe. Die stehen ganz am unteren Ende der Arbeiterhierarchie.«
Niemand in der Kolonne traute sich, aufzuschauen, als wäre ihr Blick über ein magisches Band mit dem Boden verbunden. Für einen Moment lang konnte er in den dunklen Augenhöhlen ein menschliches Blitzen erkennen. Ansonsten war dort nichts mehr, nur ein tiefer Abgrund. Ein Schauer kroch Nikolas über den Rücken.
»Wo werden diese Menschen hingeführt?«
»In die Arrestzellen«, raunte der Chef des Werksschutzes. Dabei deutete er mit dem Kopf auf eine Anlage etwas abseits am Waldrand. Als der Wind drehte, verzog Nikolas angewidert seinen Mund und drückte den Mantel unbeholfen vors Gesicht.
»Was stinkt denn hier so bestialisch?«, klagte er laut und drehte sich zu seinen Begleitern um. Sie verzogen keine Miene.
»Kautschuk.«
Endlich erreichten sie den Bürokomplex. Nikolas musste durch mehrere Schleusen, bis er schließlich vor ein Eckbüro in der dritten Etage geführt wurde.
»Obersturmbannführer Varusbach wird sie gleich empfangen«, sagte der Chef des Werkschutzes, während die Schwingtür aufging. Ohne Gruß kam ein kräftiger Mann in einer schwarzen Uniform auf ihn zu. Obwohl sein Gesicht ernst war, sprach aus seinen Augen eine ruhige Sanftheit. Mit festem Druck schüttelten die beiden Männer sich die Hände.
»Herr
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