Wunderwaffe: Kriminalroman (German Edition)
der Schulter gepackt. In dem Moment, als der Soldat die Beine des Mannes ergreifen wollte, schoss ihm dessen Hand entgegen. Unbarmherzig legte sich der Griff Rohns um den Unterarm des Soldaten. Für eine Sekunde war der Soldat irritiert, auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus Überraschung und Wut. Doch bevor ein Schrei über seine Lippen fahren konnte, hatte Rohn seine Faust zweimal gegen den Kehlkopf des Mannes gedonnert. Wild rudernd fiel der Soldat zurück. Mit grässlichen gurgelnden Geräuschen griff er sich an den Hals, wobei seine Augen beinahe aus den Höhlen traten. Sein Blick ging ins Leere, während die Beine unkoordiniert zuckten. Langsam wurden die verzweifelten Bewegungen weniger, bis sie schließlich ganz aufhörten.
Mit aufgerissenen Augen starrte Nikolas auf den Mann, der ihm eigentlich nur hatte helfen wollen. Hatte er Kinder, eine Frau, die in wenigen Tagen im fernen Deutschland weinend zusammenbrechen würden? Vielleicht hatten sie sich als glücklich gewähnt, da ihr Vater oder Ehemann nicht in die eisigen Frontabschnitte verlegt wurde, sondern einen Wachdienst im ruhigen Paris antreten durfte. Vielleicht war der groß gewachsene Soldat, der da mit grotesk verdrehten Gliedmaßen vor ihm lag, auch gezwungen worden, seinen Beruf auszuüben? Er war ungefähr in seinem Alter. Vielleicht hätten sie sich gut verstanden. Vielleicht. Unwichtig.
Wie eine steinerne Skulptur stand er vor der Leiche. Die Ruhe des Sterbens legte sich über den Raum und Nikolas meinte augenblicklich, dass es eine Nuance dunkler geworden sei. Es war keine Angst, die in ihm hochkroch, mehr die direkte Erfahrung, das Miterleben des Todeskampfes, was ihm einen Schauer über den Rücken kriechen ließ, als würden Nadeln seine Haut entlangfahren. Nikolas schüttelte sich.
»Kuss des Todes«, raunte Rohn, der bereits damit beschäftigt war, dem Soldaten die schwarze SS-Uniform auszuziehen. »Daran denken viele Menschen, wenn sie zum ersten Mal jemanden sterben sehen. Und ich meine keine Explosion und keinen Bombenangriff. Sondern wirklich den Moment des Sterbens mit den eigenen Augen miterleben.« Hastig, aber mit geübten Fingern hatte er die Hose angelegt und knöpfte sich nun die Uniformjacke zu. Auch wenn der tote Soldat Gardemaß hat, so spannte dessen Uniform dennoch gewaltig über Rohns Brust. »Beim ersten Mal ist es immer etwas kälter, oder?«
Rohn wollte keine Antwort auf seine Frage, dazu wäre Nikolas gar nicht in der Lage gewesen. »Man gewöhnt sich dran«, fuhr er fort. Das metallische Klackern der Koppel kündete davon, dass Rohn fertig war. Bevor er sich die Mütze aufsetzte, ging er ganz nah an Nikolas heran und drängte ihn zur Tür. »Passt nur auf, passt nur auf, Gevatter Tod geht herum.«
Mit wild rollenden Augen und dem makaberen Lied auf den Lippen schob er ihn in den Flur hinein.
Sicherlich, er war verrückt, mutmaßlich so verrückt, dass man seine Worte nicht für bare Münze nehmen konnte. Nikolas hoffe, er möge sich irren.
»Sie sagten, dass es keine Toten geben würde«, stotterte er.
»Nein, ich habe gesagt, dass es wahrscheinlich keine Toten gibt. Komm schon … Wir sind im Gestapo-Hauptquartier in Paris. Wahrscheinlich kommen wir hier sowieso nicht lebend raus.«
Nikolas fuhr sofort herum, trotzdem schob Rohn ihn immer weiter in den langen Gang, sodass er Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten.
»So und jetzt fang dich mal wieder.« Er fasste Nikolas am Kragen und drückte zu. »An der Schleuse musst du locker wirken. Dann zeigst du ihnen deinen Ausweis, trägst dich brav aus der Liste und sagst, dass sie den Gefangenen in die Zelle bringen können.«
Nikolas’ Kopf schien zu explodieren, so viele Gedanken schossen auf einmal durch sein Gehirn. »Was ist … was ist, wenn sie Sie entdecken?«
Rohn kniff die Augen zusammen und schnalzte mit der Zunge, als wolle er sagen, er hätte keine andere Wahl. »Wir wollen es für die Jungs nicht hoffen. Und jetzt los, Herr Kommissar.«
Zusammen gingen sie zur vergitterten Pforte, an der drei Soldaten mit aufgeknöpfter Uniform Karten spielten. Als die Männer sie wahrnahmen, sahen sie kaum auf.
»Ja, ist ja gut. Der Arzt kommt gleich«, schrie einer von ihnen.
Ein anderer fügte hinzu: »Jede Nacht derselbe Mist, immer ist einer kurz vorm Abnippeln.«
Erst als Rohn sich räusperte und sie Nikolas’ Ausweis erkannten, nahmen sie Haltung an. Ein aberwitziges Bild gaben die drei ab. Mit herunterhängenden Hosenträgern und
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