Wunschkonzert: Roman (German Edition)
getan, die vernünftig sind. Abitur, eine solide Ausbildung, immer schön auf der sicheren Seite. Jetzt ist mir einfach mal danach, etwas vollkommen Beklopptes zu tun. Denn möglicherweise habe ich nur dieses eine Leben, wenn nicht jetzt, wann also dann?«
»Ich kann das …« Er scheint nach den richtigen Worten zu suchen. »Nein, lass mich zuerst eine andere Frage stellen: Was willst du denn damit machen? Also, mit dieser Ausbildung? Du gibst einen gut bezahlten Job auf, wie soll es dann mit dir weitergehen?«
»Weiß ich nicht«, gebe ich wahrheitsgemäß zu. »Das wird die Zeit zeigen, aber darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.« Wie Miriam mal gesagt hatte:
Sorgen sollte man sich erst dann machen, wenn die Probleme da sind.
Einen Moment schweigt mein Chef – Verzeihung, Ex-Chef –, dann breitet sich langsam, aber sicher ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Das ist sehr mutig von dir«, stellt er fest. »Aber: Ich bewundere es.«
»Danke«, antworte ich. »Auch wenn ich natürlich riesigen Schiss habe, das Falsche zu tun. Aber ich habe so gut wie nie etwas Unvernünftiges gemacht und finde, es wird höchste Zeit dafür!«
»Ja«, sagt David. »Dann wird es wohl höchste Zeit.« Im nächsten Moment tritt ein bedauernder Ausdruck auf sein Gesicht. »Obwohl es mich natürlich schmerzt, eine so qualifizierte Mitarbeiterin zu verlieren.«
»Und eine eigenbrötlerische, kontrollsüchtige, besserwisserische, misstrauische und engstirnige noch dazu«, erinnere ich ihn an unseren »Pfad der Wahrheit«.
»Na ja«, schmunzelt er, »das hätten wir hier schon mit der Zeit hinbekommen und es dir ausgetrieben.«
»Danke. Aber das kriege ich lieber allein in den Griff.«
»Trotzdem«, jetzt sieht er mich ernst an, »möchte ich, dass du weißt, dass ich große Stücke auf dich halte. Und wenn du doch wieder zurückkommen willst, stehen dir die Türen von World Records jederzeit offen.«
»Das weiß ich zu schätzen.«
»Es ist die reine Wahrheit. Ich wünsche dir auf deinem Weg alles Gute und viel Erfolg.«
»Danke«, wiederhole ich noch einmal. Dann stehen wir beide auf – und zu meiner großen Überraschung nimmt David mich zum Abschied in den Arm und drückt mich an sich.
»Mach’s gut, Stella!« Hilde sieht traurig aus, als ich ihr sage, dass ich gekündigt habe und vorerst nicht wieder zurückkehre.
»Du auch«, erwidere ich.
»Meld dich hin und wieder mal und erzähl, wie es dir geht, okay?«
»Ja, klar«, versichere ich – und nehme mir fest vor, es zu tun. Die Stella, die sich vor jedem Gespräch mit Hilde gedrückt hat, soll wirklich Geschichte sein!
Sie zieht eine Schublade ihres Schreibtisches auf und holt etwas heraus. Eine Packung Merci-Schokolade, die sie mir reicht. »Hier«, sagt sie, »etwas Wegzehrung für deine Zukunft.«
»Danke.« Ich nehme die Schokolade, öffne die Packung und halte sie Hilde hin. Sie nimmt sich einen Riegel Nougat heraus, ich selbst entscheide mich für Zartbitter. Wir lächeln uns schweigend an, während wir unsere Schokolade mampfen, danach nehmen wir jede noch einen Riegel und noch einen und noch einen.
»Ich geh dann mal«, sage ich, nachdem wir zusammen das sechste Stück verdrückt haben.
»Wie gesagt, lass mal von dir hören!«
Ich öffne die große Glastür zum Flur und marschiere den langen Gang entlang. Einerseits ein bisschen traurig – andererseits optimistisch und voller Tatendrang. Doch, ich weiß, dass meine Entscheidung richtig ist. Gedankenverloren gehe ich zu den Aufzügen, drücke auf den Rufknopf, zwei Minuten später teilt mir ein
Pling
mit, dass der Fahrstuhl da ist. Die Türen öffnen sich – und direkt vor mir steht Tim Lievers. Erschrocken trete ich einen Schritt zurück.
»Hi, Stella«, sagt er und sieht nicht minder überrascht aus als ich, dabei müsste er doch damit rechnen, mir hier begegnen zu können. Schließlich weiß er ja noch nichts von meiner Kündigung. Er tritt aus dem Aufzug, hinter ihm schließen sich die Türen.
»Hallo, Tim«, entgegne ich so souverän und ruhig wie möglich. »Alles gut?« Er nickt. »Wie war dein Gig am Samstag?«
»Super«, antwortet er. »Unsere Stücke sind beim Publikum echt gut angekommen.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Du hättest auch dabei sein sollen.«
Ich schlucke schwer. Denn mal abgesehen davon, dass ich bei Mama in Bremen war, hätte ich den Auftritt der Reeperbahnjungs ja gar nicht sehen wollen. Das wäre zu schmerzhaft gewesen.
»Bist du auf dem
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