Wunschkonzert: Roman (German Edition)
mich der überdrehte Blondschopf auch mal eines Blickes. »Ach ja richtig, Stella!«, ruft sie aus. »Wir haben uns doch neulich erst im Atlantic gesehen!«
»Stimmt«, erwidere ich knapp. Was soll ich auch sonst sagen? So etwas wie:
Ja, und falls du es vergessen hast, habe
ich
da wild mit Tim rumgeknutscht, also lass die Finger von ihm.
Nein, das wäre kindisch und albern. Wobei mir für den Bruchteil einer Sekunde durchaus danach ist, kindisch und albern zu sein.
»Aber bei seinem Auftritt am Samstag in der Markthalle warst du nicht, oder?«
»Nein.«
»Wie schade, da hast du echt was verpasst! Das war so superdupermegatoll!«
Superdupermegatoll?
»Glaube ich dir.«
»Ist das nicht großartig?«, will sie als Nächstes kichernd wissen. »Ich habe schon immer zu Tim gesagt, dass es bestimmt bald mit einem Plattenvertrag klappt. Und jetzt ist es so weit!«
»Ich weiß.«
»Du hast doch auch sicher damit zu tun, oder?« Auf diese Frage fällt mir nichts ein, stattdessen wird sie von Tim beantwortet.
»Ja, hat sie.« Seine braunen Augen blicken mich unsicher an. »Sogar eine ganze Menge.«
»Äh, ja.« Ich räuspere mich. »So, ich muss dann auch mal los, ihr zwei. Wünsche euch viel Spaß und Erfolg.«
»Danke schön!«, kiekst Lucy-Lou. Mit letzter Kraft stolpere ich in den Fahrstuhl und hämmere hektisch auf den Knopf fürs Erdgeschoss. Diese blöde Tür soll zugehen, sie soll,
verdammt noch mal,
zugehen!
Es dauert viel zu lange, bis sich der Aufzug schließt. Ein paar quälende Sekunden lang werde ich noch Augenzeugin, wie der überdrehte Girlie-Alptraum Hand in Hand mit Tim den Flur hinuntergeht. Als sich der Fahrstuhl endlich in Bewegung setzt, schließe ich die Augen und atme einmal tief ein und aus. Endlich allein! Und dann fange ich an, ganz, ganz schlimm zu weinen. So ein Mist!
Superdupermegatoll!
Als ich in meinem Fiat sitze, brauche ich erst einmal ein paar Minuten, um mich zu beruhigen und meine Gedanken zu sortieren. Mit so einer Begegnung habe ich einfach nicht gerechnet. Okay, dass mir Tim über den Weg laufen könnte, war mir theoretisch bewusst. Aber Lucy-Lou war dann doch mehr als überraschend. Sie hat ihn geküsst, umarmt und mit ihm Händchen gehalten! Ist das rein platonisch gewesen? Ich schüttele den Kopf, nein, das war es sicher nicht, dafür sah es zu vertraut aus. Aber hatte das Mädchen nicht einen Freund? Okay, sie ist höchstens Mitte zwanzig, da kann sich so etwas ja mal schnell ändern. Nur: Wann hat es sich bei Tim geändert?
Wann?
Wohl kaum, während er mit mir in der Heide war. Also bleibt eigentlich fast nur der Samstag in der Markthalle. Der Gig, zu dem ich nicht gegangen bin. Ob das ein Fehler war?
Denk nicht weiter drüber nach!,
rufe ich mich selbst zur Ordnung und drehe mit einer energischen Handbewegung den Schlüssel im Zündschloss. »Was Tim Lievers macht, geht dich nichts mehr an! Kümmer dich jetzt lieber um dich selbst und dein Leben!« Ich gebe Gas und fahre los. Mit der rechten Hand drehe ich das Radio auf volle Lautstärke.
Walking on Sunshine
von Katrina and the Waves schallt mir aus den Lautsprechern entgegen. Ich brülle den Refrain laut mit, um mich selbst davon zu überzeugen, dass ich gerade auf der absoluten Sonnenseite des Lebens spazieren gehe.
Ich habe eine Entscheidung getroffen, die richtig ist, ab sofort wird alles toll und großartig und sensationell!
»I’m walking on sunshine, oh, oh«,
singe ich,
»I’m walking on sunshine, oh, oh, ain’t it time to feel good?«
Ja, es ist Zeit, sich endlich mal gut zu fühlen. Und das werde ich! Auch wenn mir mittlerweile die Tränen nur so aus den Augen schießen, schon bald wird alles ganz, ganz anders sein! Es wird wunderbar und toll und
super!
Schluchz.
20. Kapitel
E s wird alles anders. Und zwar ein bisschen mehr anders, als ich es mir vorgestellt habe. Komplett anders, könnte man sagen.
Hatte ich mir vor ein paar Monaten, als ich meine Stelle bei World Records geschmissen habe, noch überlegt, dass es doch sicher irgendwie romantisch und entspannt sein würde, in einem Café zu kellnern, musste ich schon kurze Zeit später feststellen: Fehlanzeige! Daran ist nicht das Geringste entspannt, es ist knochenharte Arbeit!
Trotzdem macht mir mein Nebenjob, den ich nun schon seit Juni habe, riesigen Spaß. Ich lerne dabei viele neue Leute kennen, habe nette Kollegen, jeden Tag eine Menge zu lachen und schaffe es mittlerweile, acht Teller auf einmal zu transportieren. Wer kann das schon
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