Wunschkonzert: Roman (German Edition)
bisschen denke ich natürlich auch an mich. Nein, das
ein bisschen
kann man getrost streichen. Mir persönlich würde es im Traum nicht einfallen, für einen Kerl alles hinzuschmeißen. Aber wenn man hin und wieder eine dieser seltenen Geschichten hört von Menschen, die sich gesucht und gefunden haben – dagegen können Sébastian und Angelique mit ihrem großen Liebesdrama einpacken.
»Muss ein schönes Gefühl sein«, sage ich versonnen.
»Ach, Stella«, Hilde streicht mir über die Wange; ich zucke leicht zurück, und sie nimmt ihre Hand schnell wieder runter. Trotzdem lächelt sie immer noch. »Ihr seid ja eine völlig andere Generation als ich und müsst euren eigenen Weg gehen. Heute würde ich keiner Frau mehr dazu raten, für einen Mann ihre gesamte Karriere aufzugeben.«
»Sondern?«, will ich wissen.
»Warum soll man nicht beides haben?« Sie zuckt mit den Schultern. »Ich denke, die Kunst besteht darin, sich auf der einen Seite nicht selbst aus den Augen zu verlieren, auf der anderen Seite aber offen für die Überraschungen des Lebens zu bleiben. Und bei Bedarf auch mal vom eigenen Kurs abzuweichen und etwas zu riskieren. Selbst dann, wenn es unvernünftig erscheint. Die guten Dinge im Leben sind oft nicht vernünftig.«
Ich muss schlucken. So viel Lebensweisheit hätte ich unserer zugegeben sehr patenten, manchmal aber auch nervigen Sekretärin gar nicht zugetraut. Gleichzeitig muss ich an Tobias denken. Was hat er gesagt?
Vernünftig kann ich noch sein, wenn ich tot bin.
Bedeutet das, man ist schon ein bisschen tot, wenn man immer vernünftig ist?
»Aber was ist, wenn man aus Unvernunft einen Fehler macht?«, hake ich nach.
Hilde schüttelt den Kopf. »Das gehört zum Leben nun einmal dazu. Und solange niemand stirbt, ist ein Fehler doch immer nur etwas, was man wieder geradebiegen kann, auch wenn es vielleicht weh tut. Und wenn du mich fragst: Ich finde, Fehler können auch liebenswert sein.« Hilde wirft einen Blick auf ihre Uhr. »Ach Gott, es ist ja gleich vier, jetzt müssen wir uns aber beeilen! Um fünf geht schon der Bus, und wir haben noch lange nicht alles eingekauft.«
Ich betrachte die drei bereits übervollen Einkaufswagen. »Glaube nicht, dass da noch was reinpasst.«
»Dann holen wir halt noch einen vierten Wagen!«, teilt Hilde Jenny und mir resolut mit und rollert dann los in Richtung nächstes Regal. Jenny und ich folgen ihr. Und mir spuken ihre Worte wieder und wieder durch den Kopf. Hätte ich schon früher etwas mehr über unsere Sekretärin gewusst, ich hätte mich mit Sicherheit öfter mit ihr unterhalten. Oder zumindest würde ich nicht komplett ausschließen, dass ich das getan hätte. Doch, bestimmt hätte ich das!
Irgendwie … irgendwie hätte ich manchmal auch gerne eine Mutter, mit der man so reden kann wie mit Hilde. Die Vorstellung, dass Mama einen Fehler von mir nicht mit einem sehr ausdrucksstarken »Aha« kommentiert, sondern womöglich findet, dass er mich liebenswert macht, ist jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich.
Um halb fünf schleppen wir uns mit gefühlten zwanzig Plastiktüten, die jeweils mindestens zehn Kilo wiegen, zum Marktplatz, wo uns der Bus wieder abholen soll. Er ist noch nicht da, also beziehen wir Position an der Bank mit der Heidekönigin. Hilde nimmt ächzend neben der Schönheit vom Land Platz und lehnt sich so zurück, dass es tatsächlich so wirkt, als hätte die Heidekönigin einen Arm um ihre Schulter gelegt.
»Das ist doch auf jeden Fall ein Foto wert«, erkläre ich, hole mein Handy hervor und mache ein paar Schnappschüsse. »So, Jenny, und jetzt du.« Danach knipst Hilde mich mit der Heidekönigin. Und schließlich quetschen wir Mädels uns lachend nebeneinander, und ich mache mit weit ausgestrecktem Arm ein Bild von uns dreien. Klar, das sind alles typische Touristenfotos, aber vor allem eine bleibende und schöne Erinnerung an die ungewöhnlichen Tage, die ich hier gerade erlebe.
Nach und nach trudeln auch die anderen Teilnehmer unseres Party-Vorbereitungskomitees ein. Nur Martin ist nicht dabei, in Sachen Musik wollte er sich irgendwie anders kümmern und ist nicht mit nach Schneverdingen reingefahren.
Um Viertel vor fünf beschließe ich, es jetzt noch einmal schnell bei Tim zu versuchen, denn ich habe ja noch ein bisschen Zeit, und draußen bei unserer Herberge ist mein Empfang wieder tot. Etwas abseits von den anderen stehend, wähle ich seine Nummer – und erreiche wieder nur seine Mailbox. Allerdings hat er
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