Wunschkonzert: Roman (German Edition)
man es heute kaum glauben kann, aber früher habe ich sogar gemodelt.«
»Gemodelt?«,
frage ich erstaunt nach. Hilde nickt.
»O ja, das habe ich. Ich bin sogar in Paris und Mailand bei den großen Schauen gelaufen. Das war damals noch nicht so ein Zirkus wie der, den man heute im Fernsehen sieht, aber«, sie gluckst, »es war schon ziemlich toll.«
»Das ist ja der Hammer!« Jenny wirkt beeindruckt. Und ich bin es auch. Zwar war es nie mein Ziel, Model zu werden – aber die Tatsache, dass Hilde es mal gemacht hat, nötigt mir einigen Respekt ab. Spätestens seit
Germany’s Next Topmodel
wissen wir ja alle, wie viel eiserne Disziplin zu so einem Job gehört.
»Aber das Tollste war, dass ich so in Paris meinen Mann kennengelernt habe«, erzählt Hilde weiter. »Er war dort als Einkäufer für eine kleine Boutique unterwegs, wir haben uns gesehen und von jetzt auf gleich ineinander verliebt.« Mit versonnenem Blick, als würde sie die Bilder der vergangenen Jahre innerlich noch einmal heraufbeschwören, wirft sie drei Packungen Toastbrot in einen unserer Einkaufswagen. »Uns war sofort klar, dass wir zusammengehören, aber er konnte eben nicht ständig quer durch Europa reisen, so wie ich. Also habe ich mit dem Modeln aufgehört und bin ihm nach Hamburg gefolgt.«
»Oh, wie romantisch«, ruft Jenny aus.
»Du hast einfach so alles aufgegeben?«, will ich wissen. Gleichzeitig wird mir die Absurdität der Situation klar: Hilde, Jenny und ich führen hier gerade mitten in einem Discounter zwischen den Regalen Frauengespräche!
»Ja, das habe ich.« Hilde lächelt.
»Aber … aber …«, ich suche nach den richtigen Worten, um sie nicht zu verletzen. Ein
Du warst Model und bist für deinen Mann simple Sekretärin geworden?
klingt vielleicht nicht ganz so charmant. »Wenn du in Paris und Mailand gelaufen bist, dann hattest du doch eine großartige Karriere! Wie konntest du die einfach sausenlassen?«
»Kindchen«, Hilde lächelt mich so nachsichtig an, als wäre ich ein bisschen schwer von Kapee, »weil ich für das, was ich auf der einen Seite aufgeben musste, auf der anderen Seite alles gewonnen habe. Das wusste ich einfach sofort, als ich vor meinem Mann stand.«
»Wie meinst du das?«, will Jenny wissen.
»Lasst es mich so erklären: Ja, es war ein tolles Leben, das ich da geführt habe. Viele Reisen, tolle Jobs, lauter interessante Leute, Aufregung pur. Aber mein Herz blieb dabei leer, ich war schrecklich einsam und unzufrieden. Ich wusste, dass andere Frauen mich beneideten – aber ich habe im Gegenteil sie darum beneidet, was sie hatten: eine Partnerschaft, ein Zuhause, eine Familie. Das wollte ich auch. Deshalb habe ich mit Freuden alles, was ich damals erreicht hatte, für meinen Hans aufgegeben. Das heißt, nein, ich habe es für
uns
aufgegeben.«
»Du warst dir bei deinem Mann sofort
ganz
sicher?«, hake ich nach. »Hätte ja auch in die Hose gehen können, wenn er dich drei Monate später sitzengelassen hätte.« Vor meinem inneren Auge taucht das Bild meiner Mutter auf. Die mit ihren fünfundfünfzig Jahren immer noch so schlank ist wie ich, aber, das muss ich in diesem Augenblick zugeben, einen wesentlich unzufriedeneren Eindruck macht als unsere Wuchtbrumme Hilde.
»Sicher hätte es das«, Hilde lacht. »Aber ich habe ihm eben vertraut. Und ohne ein gewisses Vertrauen geht es im Leben nicht. Du wirst niemanden finden, der dir eine schriftliche Garantie ausstellt, dass nie etwas danebengeht, es lässt sich nicht alles planen.«
»Wie ist es mit dir und Hans weitergegangen?«, will Jenny wissen.
»Tja, der Rest ist schnell erzählt: Wir haben ein kleines Haus mit Garten in Norderstedt gekauft, ich habe mir einen Job als Sekretärin gesucht und dann innerhalb von ein paar Jahren vier Kinder bekommen. Am Anfang habe ich noch versucht, meine Modelfigur zu halten, aber ich esse einfach zu gerne und liebe es, meine Familie und mich zu verwöhnen. Darum war mir die Wespentaille dann irgendwann egal.« Sie kichert. »Und meinem Mann glücklicherweise auch. Gerade neulich hat er gesagt:
Wenn ich ein Model sehen möchte, kann ich mir die
Vogue
kaufen. Aber wenn ich die Liebe sehen will, dann muss ich nur dich ansehen.
«
Jenny und ich seufzen synchron. Das ist, zugegeben, absoluter Kitsch. Aber es klingt
sooo
schön!
»Du bist so richtig glücklich, oder?«, will ich wissen.
»Ja, das bin ich«, antwortet Hilde, ohne überlegen zu müssen. »Sehr sogar.«
Ich denke wieder an Mama. Und ein
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