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Wunschloses Unglück - Erzählung

Wunschloses Unglück - Erzählung

Titel: Wunschloses Unglück - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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hörten auf. Sie mußte an nichts mehr denken, war zeitweise ganz aus der Welt. Es war ihr angenehm langweilig.
    Zu Hause zurück, redete sie seit langem wieder ungefragt. Sie erzählte viel. Sie ließ es zu, daß ich sie auf ihren Spaziergängen begleitete. Wir gingen oft ins Gasthaus essen, sie gewöhnte sich an, voraus einen Campari zu trinken. Der Griff an den Kopf war fast nur noch ein Tick. Es fiel ihr ein, daß sie vor einem Jahr in einem Café sogar noch von einem Mann angesprochen worden war. »Aber er war sehr höflich!« Im nächsten Sommer wollte sie nach Norden, wo es nicht so heiß war.
    Sie faulenzte, saß bei alten Freundinnen im Garten, rauchte und fächelte die Wespen aus dem Kaffee.
    Das Wetter war sonnig und mild. Die Fichtenwälder an den Hügeln ringsherum standen den ganzen Tag über in Dunstschleiern, waren eine Zeitlang nicht mehr so dunkel. Sie kochte für den Winter Obst und Gemüse ein, dachte daran, ein Fürsorgekind bei sich aufzunehmen.
    Ich führte schon zu sehr ein eigenes Leben. Mitte Augustfuhr ich nach Deutschland zurück und überließ sie sich selber. In den nächsten Monaten schrieb ich an einer Geschichte, und sie ließ ab und zu von sich hören.
    »Ich bin etwas wirr im Kopf, manche Tage sind schwer zu ertragen.«
    »Hier ist es kalt und unfreundlich, morgens ist es lange neblig. Ich schlafe lange, und wenn ich dann aus dem Bett herauskrieche, fehlt mir die Lust, irgend etwas anzufangen. Mit dem Fürsorgekind ist es auch zur Zeit nichts. Da mein Mann Tuberkulose hat, bekomme ich keins.«
    »Bei jedem angenehmen Gedanken fällt die Tür zu, und ich bin wieder allein mit meinen lähmenden Gedanken. Ich möchte so gern nettere Dinge schreiben, aber es ist nichts da. Mein Mann war fünf Tage hier, und wir hatten nichts miteinander zu reden. Wenn ich ein Gespräch anfange, dann versteht er nicht, was ich meine, und dann rede ich lieber nichts. Und dabei habe ich mich noch irgendwie auf ihn gefreut – wenn er dann da ist, kann ich ihn nicht anschauen. Ich weiß, ich müßte selbst einen Modus finden, um diesen Zustand noch erträglich zu machen, ich denke auch immer darüber nach, und es fällt mir nichts Gescheites ein. Es ist am besten, Du liest diese Scheiße und vergißt sie dann schnell wieder.«
    »Ich kann es im Haus nicht aushalten und so renne ich halt irgendwo in der Gegend herum. Nun stehe ich etwas früher auf, das ist die schwierigste Zeit für mich, ich mußmich zu irgend etwas zwingen, um nicht wieder ins Bett zu gehen. Ich weiß jetzt mit meiner Zeit nichts anzufangen. Es ist eine große Einsamkeit in mir, ich mag mit niemandem reden. Ich habe oft Lust, am Abend etwas zu trinken, aber ich darf nicht, denn dann würde die Medizin nichts nützen. Gestern bin ich nach Klagenfurt gefahren und den ganzen Tag herumgesessen und gelaufen, dann habe ich am Abend den letzten Omnibus gerade noch erwischt.«
    Im Oktober schrieb sie überhaupt nicht mehr. An den schönen Herbsttagen traf man sie auf der Straße, wo sie sich sehr langsam vorwärts bewegte, und stachelte sie an, doch ein bißchen schneller zu gehen. Jeden Bekannten bat sie, ihr doch bei einem Kaffee im Gasthaus Gesellschaft zu leisten. Sie wurde auch immer wieder zu Sonntagsausflügen eingeladen, ließ sich überallhin gern mitnehmen. Sie besuchte mit andern die letzten Kirchtage des Jahres. Manchmal ging sie sogar noch zum Fußballspiel mit. Sie saß dann nachsichtig unter den Leuten, die beim Spiel eifrig mitgingen, brachte kaum mehr den Mund auf. Aber als auf einer Wahlkampfreise der Bundeskanzler im Ort hielt und Nelken verteilte, drängte sie sich auf einmal keck vor und forderte auch eine Nelke: »Und mir geben Sie keine?« »Entschuldigung, Gnädige Frau!«
    Anfang November schrieb sie wieder. »Ich bin nicht konsequent genug, alles zu Ende zu denken, und mein Kopf tut weh. Es summt und pfeift manchmal darin, daß ich keinen Lärm zusätzlich ertragen kann.«
    »Ich rede mit mir selber, weil ich sonst keinem Menschen mehr etwas sagen kann. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich eine Maschine. Ich würde gern irgendwohin fahren, aber wenn es finster wird, bekomme ich Angst, nicht mehr hierherzufinden. Morgens liegt ein Haufen Nebel, dann ist alles so still. Jeden Tag mache ich dieselben Arbeiten, und in der Früh herrscht wieder Unordnung. Das ist ein unendlicher Teufelskreis. Ich möchte wirklich gerne tot sein, und wenn ich an der Straße gehe, habe ich Lust, mich fallen zu lassen, wenn ein Auto

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