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Wunschloses Unglück - Erzählung

Wunschloses Unglück - Erzählung

Titel: Wunschloses Unglück - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Kollegenrollen gespielt hatten. Erstmals auch ein Familiengefühl: »Lieber Bruder…! Ich schaue auf der Landkarte, wo Du jetzt sein könntest … Deine Schwester …«
    Und so die erste Liebe: zu einem deutschen Parteigenossen, der, im Zivilberuf Sparkassenangestellter, nun als militärischer Zahlmeister ein bißchen etwas Besondereswar – und bald auch schon in andere Umstände gebracht. Er war verheiratet, und sie liebte ihn, sehr, ließ sich alles von ihm sagen. Sie stellte ihn den Eltern vor, machte mit ihm Ausflüge in die Umgebung, leistete ihm in seiner Soldateneinsamkeit Gesellschaft.
    »Er war so aufmerksam zu mir, und ich hatte auch keine Angst vor ihm wie vor anderen Männern.«
    Er bestimmte, und sie ging darauf ein. Einmal schenkte er ihr etwas: ein Parfüm. Er lieh ihr auch ein Radio für ihr Zimmer und holte es später wieder ab. »Damals« las er noch, und sie lasen zusammen ein Buch mit dem Titel »Am Kamin«. Bei einem Ausflug auf eine Alm, als sie auf dem Abstieg ein wenig liefen, entfuhr meiner Mutter ein Wind, und mein Vater verwies ihr das; im Weitergehen entschlüpfte ihm selber ein Furz, und er hüstelte. Sie krümmte sich ganz zusammen, als sie mir das später erzählte, und kicherte schadenfroh und doch mit schlechtem Gewissen, weil sie gerade ihre einzige Liebe schlecht machte. Es belustigte sie selber, daß sie einmal jemanden, und gerade so einen, liebgehabt hatte. Er war kleiner als sie, viele Jahre älter, fast kahlköpfig, sie ging in flachen Schuhen neben ihm her, immer den Schritt wechselnd, um sich ihm anzupassen, in einen abweisenden Arm eingehängt, aus dem sie immer wieder herausrutschte, ein ungleiches, lachhaftes Paar – und trotzdem sehnte sie sich noch zwanzig Jahre später danach, wieder für jemanden so etwas empfinden zu können wie einst nach mickrigen Knigge-Aufmerksamkeiten für diese Sparkassenexistenz. Aber es gab keinen ANDEREN mehr: die Lebensumstände hatten sie zu einer Liebe erzogen, die auf einen nicht austauschbaren, nicht ersetzbaren Gegenstand fixiert bleiben mußte.
    Nach der Matura sah ich meinen Vater zum ersten Mal: vor der Verabredungszeit kam er mir zufällig auf der Straße entgegen, ein geknicktes Papier auf der sonneverbrannten Nase, Sandalen an den Füßen, einen Colliehund an der Leine. In einem kleinen Café ihres Heimatortes traf er sich dann mit seiner ehemaligen Geliebten, die Mutter aufgeregt, der Vater ratlos; ich stand weit weg an der Musikbox und drückte »Devil in Disguise« von Elvis Presley. Der Ehemann hatte Wind von dem allen bekommen, schickte aber nur als Zeichen den jüngsten Sohn in das Café, wo das Kind ein Eis kaufte, dann neben der Mutter und dem Fremden stehenblieb und sie ab und zu mit immer den gleichen Worten fragte, wann sie denn endlich nach Hause gehe. Mein Vater steckte ein Sonnenbrillengestell auf die andere Brille, redete zwischendurch zu dem Hund, wollte dann »schon einmal« zahlen. »Nein, nein, ich lade dich ein«, sagte er, als auch meine Mutter das Geldtäschchen aus der Handtasche nahm. Von unserer Urlaubsreise schickten wir ihr eine gemeinsame Ansichtskarte. Überall, wo wir uns einquartierten,verbreitete er, daß ich sein Sohn sei, denn er wollte auf keinen Fall, daß man uns für Homosexuelle (»Hundertfünfundsiebziger«) hielt. Das Leben hatte ihn enttäuscht, er war mehr und mehr vereinsamt. »Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere«, sagte er, natürlich nicht ganz im Ernst.
    Kurz vor der Entbindung heiratete meine Mutter einen Unteroffizier der Deutschen Wehrmacht, der sie schon lange VEREHRTE und dem es auch nichts ausmachte, daß sie ein Kind von einem andern bekam. »Die oder keine!« hatte er auf den ersten Blick gedacht und gleich mit seinen Kameraden darauf gewettet, daß er sie bekommen würde, beziehungsweise daß sie ihn nehmen würde. Er war ihr zuwider, aber man redete ihr das Pflichtbewußtsein ein (dem Kind einen Vater geben): zum ersten Mal ließ sie sich einschüchtern, das Lachen verging ihr ein bißchen. Außerdem imponierte es ihr, daß jemand sich gerade sie in den Kopf gesetzt hatte.
    »Ich glaubte, er würde ohnehin im Krieg fallen«, erzählte sie. »Aber dann hatte ich auf einmal doch Angst um ihn.«
    Jedenfalls hatte sie nun Anspruch auf ein Ehestandsdarlehen. Mit dem Kind fuhr sie nach Berlin zu den Eltern ihres Mannes. Man duldete sie. Die ersten Bomben fielen schon, sie fuhr zurück, eine Allerweltsgeschichte, sielachte wieder, schrie dabei oft, daß man

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