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Wunschloses Unglück - Erzählung

Wunschloses Unglück - Erzählung

Titel: Wunschloses Unglück - Erzählung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Sonne, draußen – drinnen: die weiblichen Gefühle wurden sehr wetterabhängig, weil »Draußen« fast immer nur der Hof sein durfte und »Drinnen« ausnahmslos das eigene Haus ohne eigenes Zimmer.
    Das Klima in dieser Gegend schwankt sehr: kalte Winter und schwüle Sommer, aber bei Sonnenuntergang oder auch nur im Laubschatten fing man zu frösteln an. Viel Regen; schon Anfang September oft tagelang nasser Nebel vor den viel zu kleinen Fenstern, die auch heute kaum größer gebaut werden; Wassertropfen auf den Wäscheleinen, Kröten, die vor einem im Finstern über den Weg sprangen, Mücken, Insekten, Nachtfalter sogar am Tag, unter jedem Scheit in der Holzhütte Würmer und Asseln: davon mußte man abhängig werden, anderes gab es ja nicht. Selten wunschlos und irgendwie glücklich, meistens wunschlos und ein bißchen unglücklich.
    Keine Vergleichsmöglichkeiten zu einer anderen Lebensform: auch keine Bedürftigkeit mehr?
    Es fing damit an, daß meine Mutter plötzlich Lust zu etwas bekam: sie wollte lernen; denn beim Lernen damals als Kind hatte sie etwas von sich selber gefühlt. Es war gewesen, wie wenn man sagt: »Ich fühle mich.« Zum ersten Mal ein Wunsch, und er wurde auch ausgesprochen,immer wieder, wurde endlich zur fixen Idee. Meine Mutter erzählte, sie habe den Großvater »gebettelt«, etwas lernen zu dürfen. Aber das kam nicht in Frage: Handbewegungen genügten, um das abzutun; man winkte ab, es war undenkbar.
    Immerhin gab es in der Bevölkerung eine überlieferte Achtung vor den vollendeten Tatsachen: eine Schwangerschaft, der Krieg, der Staat, das Brauchtum und der Tod. Als meine Mutter einfach von zu Hause wegging, mit fünfzehn oder sechzehn Jahren, und in einem Hotel am See kochen lernte, ließ der Großvater ihr den Willen, weil sie nun schon einmal weggegangen war ; außerdem war beim Kochen wenig zu lernen.
    Aber es gab schon keine andere Möglichkeit mehr: Abwaschhilfe, Stubenmädchen, Beiköchin, Hauptköchin. »Gegessen wird immer werden.« Auf den Fotos ein gerötetes Gesicht, glänzende Wangen, in schüchterne ernste Freundinnen eingehängt, die von ihr mitgezogen wurden; selbstbewußte Heiterkeit: »Mir kann nichts mehr passieren!«; eine geheimnislose, überschwengliche Lust zur Geselligkeit.
    Das Stadtleben: kurze Kleider (»Fähnchen«), Schuhe mit hohen Absätzen, Wasserwellen und Ohrklipse, die unbekümmerte Lebenslust. Sogar ein Aufenthalt im Ausland!, als Stubenmädchen im Schwarzwald, viele VEREHRER , keiner ERHÖRT ! Ausgehen, tanzen, sich unterhalten, lustig sein: die Angst vor der Sexualität wurde so überspielt; »es gefiel mir auch keiner«. Die Arbeit, das Vergnügen; schwer ums Herz, leicht ums Herz, Hitler hatte im Radio eine angenehme Stimme.
    Das Heimweh derer, die sich nichts leisten können: zurück im Hotel am See, »jetzt mache ich schon die Buchhaltung«, lobende Zeugnisse: »Fräulein… hat sich… als anstellig und gelehrig erwiesen. Ihr Fleiß und ihr offenes, fröhliches Wesen machen es uns schwer … Sie verläßt unser Haus auf eigenen Wunsch.« Bootsfahrten, durchtanzte Nächte, keine Müdigkeit.
    Am 10. April 1938: das deutsche Ja! »Um 16Uhr 15 Minuten traf nach triumphaler Fahrt durch die Straßen Klagenfurts unter den Klängen des Badenweiler Marsches der Führer ein. Der Jubel der Massen schien keine Grenzen zu kennen. Im bereits eisfreien Wörthersee spiegelten sich die Tausende von Hakenkreuzfahnen der Kurorte und Sommerfrischen. Die Maschinen des Altreiches und unsere heimischen Flugzeuge flogen mit den Wolken um die Wette.«
    In den Zeitungsannoncen wurden Abstimmungszeichen und Fahnen aus Seide oder nur Papier angeboten. Die Fußballmannschaften verabschiedeten sich nach Spielende mit dem vorschriftsmäßig ausgemachten »Sieg Heil!«. Die Kraftfahrzeuge wurden statt »A« mit dem Kennzeichen »D« versehen. Im Radio 6.15 Befehlsdurchgabe, 6.35 Der Spruch, 6.40 Turnen, 20.00 Richard-Wagner-Konzert, bis Mitternacht Unterhaltung und Tanz vom Reichssender Königsberg.
    »So muß dein Stimmzettel am 10. April aussehen: der größere Kreis unter dem Wort JA ist mit kräftigen Strichen zu durchkreuzen.«
    Gerade aus der Haft entlassene rückfällig gewordene Diebe überführten sich selber, indem sie angaben, die fraglichen Sachen in Kaufhäusern gekauft zu haben, die, weil sie Juden gehörten, INZWISCHEN GAR NICHT MEHR BESTANDEN .
    Kundgebungen mit Fackelzügen und Feierstunden; die mit neuen Hoheitszeichen versehenen Gebäude bekamen

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