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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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Mrs. Taylor. Überlegen Sie sich doch bloß mal, was alles ihm über sie bekannt war: die Vorkehrungen für die Abtreibung ihrer Tochter, das Versteckspiel mit der Polizei, ihr großer Alkoholkonsum, ihre Geldschwierigkeiten. Sie mußte ständig in der Furcht leben, daß George, der einzige Mann, der sie in ihrem Leben je anständig behandelt hatte, etwas von ihren Ausschweifungen erfahren könnte.«
    »Aber jeder weiß doch, daß sie fast jeden Abend Bingo spielen geht und an den Spielautomaten steht. Und auch, daß sie ganz gerne mal etwas trinkt.«
    »Ja schon, aber wer kennt schon das Ausmaß. George hat die Summe, die sie abends setzt, auf etwa ein Pfund beziffert, aber Sie glauben doch wohl nicht, daß Sie ihm, was diesen Punkt angeht, die Wahrheit gesagt hat? Und sie trinkt nicht, sie säuft – wie ein Loch. Sie fängt schon mittags damit an.«
    »Als ob Sie nicht auch schon ihr erstes Bier um elf Uhr trinken würden«, sagte Lewis.
    »Ja, aber … ich trinke maßvoll, wie Sie wissen. Und ihre Trinkgewohnheiten sind auch nur ein Punkt unter anderen. Haben Sie gesehen, wie sie sich anzieht? Teure Kleider, Schuhe, Handtaschen und Handschuhe. Und dann ihr Schmuck. Sind Ihnen die Diamanten an ihrem Finger aufgefallen? Der Himmel weiß, wo sie die herhat. Und ihr Mann arbeitet auf einer Mülldeponie! Nein, sie lebt vollkommen über ihre Verhältnisse.«
    »Das sehe ich ja auch ein, Sir, und das mag ja für Mrs. Taylor auch ein gutes Motiv gewesen sein, aber …«
    »Ich weiß. An welcher Stelle kommt jetzt Valerie ins Spiel? Nun, ich glaube, daß Valerie und ihre Mutter oft miteinander telefoniert haben. Briefe wären viel zu gefährlich gewesen. Valerie muß mitbekommen haben, in was ihre Mutter da hineingeraten war: diese furchtbare Verbindung mit Baines, die sie, wenn sie einen Moment in ihrer hektischen Jagd nach Vergnügungen innehielt, haßte, die sie aber trotzdem nicht lösen konnte, weil sie ihm in gewisser Weise verfallen war, denn er bot ihr die einzige Möglichkeit, dem grauen Alltag, wenn auch nur für Stunden, den Rücken zu kehren. Valerie muß erkannt haben, daß das Leben ihrer Mutter hinter der grellen Kulisse von Trinken und Spielen immer elender wurde, und hat wahrscheinlich Angst davor gehabt, wie es enden könnte. Vielleicht hat ihre Mutter angedeutet, daß sie nicht mehr lange die Kraft haben werde weiterzumachen. Ich weiß es nicht. Aber auch Valerie selbst muß ja in Furcht vor Baines gelebt haben. Er wußte alles über sie: ihr promiskuöses Vorleben, ihre kurze Affäre mit Phillipson, die Geschichte mit Acum – einschließlich der Folgen. Und jederzeit konnte er, wenn es ihm gefiel, das Ganze publik machen und Leben zerstören. Zum Beispiel das von Acum. Wenn erst einmal bekannt wäre, daß er mit einer Schülerin geschlafen hatte, konnte er seinen Lehrerberuf gleich an den Nagel hängen. Da gäbe es keine Schule, die ihn dann noch einstellen würde – so gelockert die Moralvorstellungen heutzutage auch sein mögen. Ich vermute, Lewis, daß Valerie begonnen hat, Acum zu lieben. Ich glaube, sie sind glücklich miteinander – oder jedenfalls so glücklich, wie man unter diesen Umständen sein kann. Verstehen Sie, was ich sagen will? Nicht nur die Zukunft ihrer Mutter, auch die David Acums war durch Baines bedroht. Und einen Tag ergibt sich für sie eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun: eine einzige schnelle, unkomplizierte Tat – und alle Probleme sind auf einen Schlag gelöst. Sie braucht bloß Baines aus dem Weg zu schaffen.«
    Lewis dachte nach. »Ist ihr denn nie die Idee gekommen, daß Acum verdächtigt werden könnte? Er war doch zur Tatzeit in Oxford, das wußte sie doch.«
    »Ich glaube, das ist ihr gar nicht in den Sinn gekommen. Und daß Acum ausgerechnet an dem Abend auf die Idee kommen würde, Baines besuchen zu wollen – das war so unwahrscheinlich, damit hat sie nicht gerechnet.«
    »Ist schon ein merkwürdiger Zufall, finde ich.«
    »Ja. Aber so was gibt es eben.«
    Nun hatte Lewis seine Antwort. Vielleicht nicht die bestmögliche, aber sie machte Sinn.
    Morse stand auf und ging zum Küchenfenster. Man hatte von hier aus eine weite Sicht bis hinüber zu den Gipfeln der Snowdon-Kette. Er blickte eine Zeitlang hinüber. »Wir müssen wohl so langsam mal an den Aufbruch denken«, sagte er. »Wir können ja nicht ewig hierbleiben.« Seine Hände lagen auf dem Rand der Spüle, und ohne daß er es wollte, zog er die darunterliegende Schublade auf. Darin lag ein großes

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