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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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war kein Ton zu hören.
    »Keiner da, Sir. Was machen wir jetzt?«
    »Wir sehen uns schnell um«, sagte Morse. »Ich unten – Sie oben.«
    Die Stufen auf der engen Treppe knarrten laut, als Lewis hochging. Morse stand unten und sah ihm mit klopfendem Herzen nach.
    Das Haus hatte nur zwei Schlafzimmer oben, die beide an dem kleinen Flur lagen, das eine auf der rechten Seite, das andere nach vorne raus. Lewis versuchte es zuerst mit dem rechts und spähte um die Tür. Fehlanzeige. Offensichtlich war dies nur eine Art Abstellraum. Ein einzelnes, ungemachtes Bett stand an der Wand gegenüber; alles mögliche lag auf dem Bett und dem Fußboden davor verstreut oder stand herum: einige Ballonflaschen mit selbstangesetztem Wein, der leise blubbernd vor sich hingor, ein Staubsauger mit Zubehör, verstaubte Lampenschirme, alte Gardinenstangen, der präparierte Kopf eines Rehbocks, von Motten zerfressen, und aller möglicher Krimskrams. Aber sonst nichts. Nichts.
    Lewis verließ den Raum und versuchte es an der anderen Tür.
    Das mußte ihr Schlafzimmer sein. Vorsichtig drückte er die Tür einen Spalt auf und sah etwas Scharlachrotes auf dem Bett liegen. Es war helles Scharlachrot – die Farbe frisch vergossenen Blutes. Er stieß die Tür auf und trat ein. Dort lag auf der reinen, weißen Steppdecke ausgebreitet, und die Ärmel hübsch über dem Mieder gefaltet, ein langes, schmales, scharlachrotes Abendkleid.
     
     

Kapitel Sechsunddreißig
     
    Niemand handelt aus einem einzigen Motiv heraus
    S. T. Coleridge, Biographia Literaria
     
    Sie setzten sich in der kleinen Küche auf zwei wacklige Stühle.
    »Sieht so aus, als ob unser Vogel ausgeflogen wäre.«
    »Hm.« Morse stützte seinen Kopf in die Hand und starrte blicklos nach draußen.
    »Wann ist Ihnen denn zum erstenmal der Verdacht gekommen, Sir?«
    »Das muß irgendwann in der vergangenen Nacht gewesen sein. So gegen halb drei, glaube ich.«
    »Also erst heute morgen?«
    Morse sah überrascht hoch. Seine Entdeckung schien ihm schon eine Ewigkeit zurückzuliegen.
    »Und wie sind Sie daraufgekommen?«
    Morse setzte sich auf. »Die Tatsache, daß Valerie am Leben war, änderte schlagartig die Bedeutung aller Fakten. Wie Sie wissen, hatte ich ja die ganze Zeit über angenommen, sie sei tot.«
    »Aber es muß doch irgend etwas Bestimmtes gegeben haben, das Sie auf die Spur gebracht hat?«
    »Ich glaube, mehr als alles andere war es ein Foto. Mrs. Phillipson zeigte mir bei einem meiner Besuche Aufnahmen von einem Fest, das sie und ihr Mann für das Kollegium gegeben hatten. Die Bilder waren alle sehr scharf und deutlich – kein Vergleich mit den verschwommenen Aufnahmen, die wir von Valerie besitzen. Und auf einer dieser Aufnahmen war auch Mrs. Acum abgebildet. Als ich das erste Mal hier vor der Tür stand, nahm ich selbstverständlich an, daß die Frau, die mir öffnete, Mrs. Acum sei. Aber obwohl sie ein Handtuch um den Kopf trug, bemerkte ich doch ihre dunklen Haarwurzeln, und wußte, daß ihr Blond nicht echt war.«
    »Aber wir wissen doch gar nicht, ob die echte Mrs. Acum eine echte Blondine ist«, bemerkte Lewis unfreiwillig komisch.
    »Nein, das stimmt«, gab Morse zu.
    »Das mit den Haaren heißt also gar nichts«, sagte Lewis.
    »Da war noch etwas anderes«, begann Morse zögernd.
    »Was denn?«
    »Mrs. Acum hatte, wie wir wissen, eine sehr knabenhafte Figur.«
    »Sie meinen, sie war flachbusig?«
    »Ja.«
    »Und?«
    »Die Frau, die hier bei Acum wohnt, ist eben alles andere als flachbusig.«
    »Na, vielleicht trug sie an diesem Tag gerade einen wattierten BH. Das kann man von außen gar nicht merken.«
    »Nein, kann man nicht?« Ein kleines, sehnsüchtiges Lächeln erschien um Morse’ Mund, aber er sagte nichts. »Ich hätte schon viel früher dahinterkommen können. Mrs. Acum – und Valerie Taylor. Die beiden sind so verschieden wie Tag und Nacht. Ich glaube, es gibt niemanden, der weniger intellektuell ist als Valerie Taylor. Und ich habe zweimal mit ihr telefoniert und sie einmal sogar gesehen – und ich bin nicht stutzig geworden.« Er schüttelte voller Erbitterung über seine eigene Dummheit den Kopf. »Ja, ich hätte die Wahrheit schon längst herausfinden können, schon vor langer, langer Zeit.«
    »Aber, Sie haben doch – wie Sie mir erzählt haben – gar nicht viel von ihr erkennen können. Sie hatte doch eine dieser Schönheitsmasken auf dem Gesicht.«
    »Viel habe ich auch nicht gesehen, aber genug …« Er war mit den Gedanken schon wieder

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