. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
Acum ließ sich da nicht umstimmen, war aber bereit, so lange bei ihm zu bleiben, bis die Trennung erfolgen konnte, ohne allzu großen Wirbel auszulösen. Er entschied für sich, daß es das beste sei, Kidlington zu verlassen, und bewarb sich um eine Stelle in Caernarvon. Phillipson war in ihn gedrungen, um etwas über seine Gründe für diesen sinnlosen Wechsel auf einen nicht besonders aussichtsreichen Posten zu erfahren, aber er hatte ihm kein Wort gesagt. Buchstäblich nichts. Er betete, daß Valerie ebenfalls den Mund hielt.
Er hatte sie nach jener Nacht im April nicht mehr allein gesehen. Erst ungefähr drei Wochen, bevor sie verschwand, kam es noch einmal zu einem privaten Gespräch zwischen ihnen. Sie teilte ihm mit, daß sie ein Baby erwartete, und daß er vermutlich der Vater sei. Sie schien – jedenfalls nach Ansicht Acums – ganz zuversichtlich zu sein, und erklärte ihm, es würde schon alles klargehen. Sie bat ihn nur um das eine: Falls sie sich entschlösse, von zu Hause wegzugehen, solle er nichts von dem, was er über sie wisse, weitersagen. Er drängte sie, ihm von ihren Absichten zu erzählen, aber sie wiederholte nur, es würde schon alles klargehen. Brauchte sie Geld? Sie sagte, sie würde es ihn wissen lassen, und dann lächelte sie spitzbübisch und beruhigte ihn, er solle sich keine Sorgen machen. Und dann noch einmal, es würde schon alles klargehen. Bei Valerie ging immer alles klar . (Hier war Morse, der bisher dem Gespräch zwischen Lewis und Acum eher apathisch gefolgt war, plötzlich wach und aufmerksam geworden, und hatte mit einigen, allerdings eher unwesentlichen Fragen in das Gespräch eingegriffen.) Was Geld anlangte, schien Valeries Optimismus sie jedoch getrogen zu haben, denn ungefähr zwei Wochen später kam sie auf ihn zu und sagte, sie wäre sehr dankbar, wenn er ihr doch etwas geben könnte. Es war keine Forderung, nur eine Bitte, und er war froh gewesen, ihr helfen zu können. Obwohl die Ersparnisse nicht gerade sehr üppig waren, hatte er ihr – und zwar mit vollem Einverständnis seiner Frau – hundert Pfund gegeben. Kurz darauf war Valerie verschwunden, und er hatte genauso wenig Ahnung wie alle anderen, wohin sie gegangen sein könnte. Und in Anbetracht des Versprechens, das er ihr gegeben hatte, hatte er das wenige, das er wußte, für sich behalten.
Bei ihm zu Hause hatte sich die Lage inzwischen ein wenig normalisiert. Valeries Verschwinden hatte wohl zusätzlich zur Entspannung beigetragen – jedenfalls war es zum erstenmal seit der Nacht im April zwischen ihm und seiner Frau zu einer vernünftigen Unterhaltung gekommen, bei der beide Teile versucht hatten, die Gefühle des anderen zu verstehen. Er sagte ihr, daß er sie liebte, daß er erst jetzt wüßte, wieviel sie ihm bedeutete, und wie sehr er sich wünschte, daß sie zusammenblieben. Sie hatte geweint und ihm gestanden, sie hätte immer das Gefühl gehabt, ihm nicht zu genügen, vor allem, weil sie keine Kinder bekommen könnte … Diese Aussprache hatte vieles zwischen ihnen geklärt, und gegen Ende des Schuljahres waren sie sich so weit nähergekommen, daß sie sich entschlossen, zusammenzubleiben und zu versuchen, den Bruch in ihrer Ehe wieder zu kitten. An Scheidung hatten sie beide sowieso nie gedacht: Seine Frau war Katholikin.
So waren sie also, fuhr Acum fort, zusammen nach Wales gezogen und hatten hier ein ruhiges und überraschend harmonisches Leben geführt. Und jetzt diese Sache mit Baines. Er beteuerte, daß er vollkommen unschuldig sei. Ob Baines ihn erpreßt habe? Die Idee sei lachhaft. Die einzige Person, die ihn, wenn man so wolle, in der Hand habe, sei Valerie Taylor, und von der habe er seit ihrem Verschwinden vor zwei Jahren nichts mehr gehört. Er wisse nicht einmal, ob sie noch am Leben sei.
Damit war die Vernehmung beendet. Fast jedenfalls. Morse hatte noch eine Frage stellen wollen.
»Kann Ihre Frau Auto fahren?«
Acum hatte ihn überrascht angesehen. »Nein. Warum?«
Seine Antwort hatte Morse’ Theorie den letzten Todesstoß versetzt.
Lewis ließ, während er durch die stille Nacht fuhr, die einzelnen Phasen des Gesprächs noch einmal Revue passieren. Und als er sich die Fakten, die sie von Acum erfahren hatten, wieder ins Gedächtnis rief, wuchs in ihm ein Gefühl tiefer Sympathie für Morse, der in sich zusammengesunken, eine Zigarette nach der anderen rauchend – was für ihn ungewöhnlich war –, neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, niedergeschlagen, verbittert, vor
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