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. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen

Titel: . . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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allem aber: wütend über sich selbst …
     
    Wieso hatte er sich dermaßen irren können? Und vor allem, wo? Diese Fragen gingen Morse wieder und wieder durch den Kopf. Er dachte an seine erste Analyse des Falles, in der er Mrs. Taylor als Mörderin von Reginald Baines und ihrer Tochter Valerie gesehen hatte. Warum das falsch gewesen war, hatte sich ja noch einsehen lassen. Da war erstens die Unwahrscheinlichkeit, daß eine Mutter die eigene Tochter umbrachte, und zweitens – und viel entscheidender – die unbestreitbare Tatsache, daß Valerie zu einem Zeitpunkt, an dem sie seiner Einschätzung nach tot im Kofferraum eines Wagens hätte liegen müssen, höchst lebendig in einer Londoner Klinik aufgetaucht war. Ja, die erste Analyse war unsinnig gewesen.
    Aber was war mit der zweiten Analyse? Die hatte doch wirklich keine Fragen offengelassen. So schien es jedenfalls. Was also stimmte daran nicht? Nach einigem Nachdenken kam er zu dem Schluß, daß auch sie wohl daran gescheitert war, daß er von einer unwahrscheinlichen Voraussetzung ausgegangen war: der Voraussetzung, daß die Frau, mit der David Acum zusammenlebte, Valerie Taylor war. Eine falsche Annahme, wie er nun wußte. Und also war auch seine zweite Analyse unsinnig gewesen.
    Fast gewaltsam versuchte Morse, die Gedanken an das Desaster beiseite zu schieben. Er rang seiner Phantasie Bilder ab von schönen Frauen, unzensierte erotische Szenen … Aber immer wieder drängten sich die Fakten des Falls Taylor dazwischen. Fakten, Fakten, Fakten. Und er dachte erneut über jede einzelne Tatsache nach. Wenn er sich doch bloß an sie gehalten hätte! Eine Tatsache war, daß Ainley bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Einen Tag später hatte jemand den Brief geschrieben. Ebenfalls eine Tatsache. Dann weiter: Valerie war Tage nach ihrem Verschwinden noch am Leben gewesen, Baines war tot, Mrs. Acum war Mrs. Acum – alles Tatsachen. Und jetzt? Was weiter? Ihm wurde auf einmal klar, wie klein die Zahl der Fakten – der gesicherten Fakten – eigentlich war. Mögliche Fakten dagegen gab es in Hülle und Fülle. Und wieder begann er, die einzelnen Puzzlestücke, die er zu kennen meinte, in Bezug zueinander zu setzen. Aber nichts paßte. Er schüttelte heftig den Kopf. Wenn er so weitermachte, würde er noch verrückt.
    Er blickte zu Lewis, der mit angestrengter Konzentration auf die Straße starrte. Lewis! Ha! Der hatte ihm die eine Frage gestellt, die ihm die ganze Zeit über Rätsel aufgegeben hatte: Warum hatte Baines den Brief geschrieben? Warum? Warum? Warum?
    Während sie auf der alten Römerstraße entlangbrausten, vorbei an Wellington, fiel Morse plötzlich die mögliche Antwort ein, eine Antwort von geradezu erstaunlicher Einfachheit. Er lehnte sich zurück. Jetzt endlich hatte er die Ruhe, sich in Gedanken der Aufgabe zu widmen, Miss Baker zu entkleiden.
    Lewis hatte die Straße buchstäblich für sich allein. Es war nach ein Uhr nachts, und die beiden Männer hatten kein Wort gewechselt. Es war, als nehme das lastende Gewicht des Schweigens immer weiter zu, und allmählich wäre es ihnen fast so lästerlich erschienen, ein Gespräch anzufangen, wie die Stille vor einem Grabmal zu brechen.
    Auf dem letzten Abschnitt der Heimfahrt wanderten seine Gedanken noch einmal zurück – vor die seltsam unwirklichen Ereignisse der vergangenen Stunden – zu den ersten Tagen der Ermittlungen im Fall Taylor. Sie war eben einfach abgehauen. Das hatte er doch damals gleich gesagt. Hatte die Nase voll von der Familie und der Schule, war neugierig auf die helleren Lichter, die Erregung, den Glanz der Riesenstadt. Dann ließ sie sich das unerwünschte Kind wegmachen und landete schließlich in der Szene der schicken Nichtstuer. Da war sie bestimmt happy. Es wäre sicher das letzte, was sie wollte, heimzukehren zu ihrer launischen Mutter und dem langweiligen Stiefvater. Solche Anwandlungen hatten wir alle ab und zu. Noch einmal ganz von vorn anzufangen. Wie neugeboren … In dem Alter war ihm auch manchmal nach Wegrennen gewesen … Paß auf die Straße auf, Lewis! Oxford 50 Kilometer. Er warf einen Seitenblick auf den Inspector und lächelte. Der alte Junge schlief fest.
    Es waren keine 20 Kilometer mehr bis Oxford, als Lewis merkte, daß Morse im Schlaf Worte vor sich hin murmelte, undeutlich, unzusammenhängend erst. Dann bekam er einzelne halbe Sätze mit. Es klang wie »Verdammte Fotos – hätte sie nicht erkannt – blöde Dinger«.
    »Wir sind da, Sir.« Er sprach

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