. . . Wurde Sie Zuletzt Gesehen
Glück war das nicht sein Telefon. Er fühlte sich immer noch zerschlagen und hundemüde und vergrub seinen Kopf wieder in den Kissen. Auch auf Marylebone hatten sie ihn unnachsichtig hochgescheucht. Um 8.05 Uhr war er wieder zurück gewesen und mit dem Taxi nach Hause gefahren. Wie man den Abend in London auch betrachtete – er hatte in jeder Hinsicht draufgezahlt.
Eine Stunde später klingelte es wieder. Schrill und durchdringend. Diesmal bekam er mit, daß es sein Telefon war, und tastete – noch immer schlaftrunken – nach dem Nachttisch. Er nahm den Hörer ab, gähnte ein »Ja?« in die Muschel und rappelte sich in eine halbsitzende Stellung.
»Lewis? Was zum Teufel wollen Sie?«
»Ich versuche schon seit einer Stunde, Sie zu erreichen, Sir. Es …«
»Wie spät ist es denn eigentlich?«
»Gleich drei Uhr, Sir.«
»Was?«
»Es tut mir leid, daß ich Sie geweckt habe, aber es hat hier eine Überraschung gegeben.«
»Darauf bin ich gar nicht neugierig.«
»Ich glaube, es ist besser, Sie kommen vorbei, Sir. Wir sind im Präsidium.«
»Wer ist ›wir‹?«
»Wenn ich Ihnen das sagte, dann wäre es ja keine Überraschung mehr, Sir.«
»In einer halben Stunde«, sagte Morse.
Er setzte sich in den Raum, der für Befragungen vorgesehen war. Vor ihm lag eine Aussage, bereits getippt, aber noch nicht unterschrieben. Er nahm sie und las:
Ich bin hierhergekommen, um ein Geständnis abzulegen, und hoffe, daß die Tatsache, daß ich mich freiwillig stelle, mir zu meinen Gunsten angerechnet wird. Ich bekenne mich schuldig des Mordes an Mr. Reginald Baines, stel l vertrete n dem Direktor an der Roger-Bacon-Gesamtschule in Kidlington, Oxon. Die Gründe für meine Tat sind, meiner Meinung nach, für die strafrechtliche Beurteilung nicht direkt rel e van d , und zudem glaube ich, daß es Dinge gibt, die j e der Mensch das Recht hat, für sich behalten zu dürfen. Auch zu den Einzelheiten, wie es geschah, möchte ich mich im Moment noch nicht äußern. Ich bin mir bewußt, daß die Frage der Heimtücke sowie des Vorsatzes in einem späteren Prozeß von größter Wichtigkeit sein kann und möchte deshalb darum bitten, meinen Rechtsanwalt hinzuziehen zu dü r fen.
Ich bestätige hiermit, daß diese Aussage von mir im Beisein von Sergeant Lewis von der Thames Valley Police am oben genannten Tag zu der oben genannten Zeit selbst ve r fertigt wurde.
Hochachtungsvoll
Als er mit Lesen fertig war, blickte er hoch. »Sie haben ›relevant‹ falsch geschrieben«, sagte er.
»Das war Ihre Stenotypistin, Inspector. Nicht ich.« Morse griff nach seinem Zigarettenetui und hielt es ihr hin. »Nein, danke, ich rauche nicht.«
Sie weiter ansehend, zündete er sich eine Zigarette an und sog den Rauch tief in die Lungen. Sein Gesichtsausdruck war eine Mischung zwischen unbestimmtem Widerwillen und stummer Skepsis. Er deutete auf die Aussage. »Sie wollen, daß ich das weiterverfolge?«
»Ja.«
»Wie Sie meinen.«
Sie saßen schweigend, als gäbe es zwischen ihnen nichts mehr zu reden. Morse sah aus dem Fenster und auf den betonierten Hof hinunter. Er hatte bei diesem Fall schon so viele Fehler begangen – es wäre nicht gut, jetzt noch einen zu machen. Vielleicht war dieses wirklich die einzig vernünftige Erklärung. Oder genauer fast die einzig vernünftige Erklärung. Aber war das jetzt nicht auch schon egal? Doch seine Miene drückte weiter Unbehagen aus.
»Sie mögen mich nicht besonders, Inspector, oder?«
»Das würde ich so nicht sagen«, wehrte Morse ab. »Es ist nur … Sie haben mir bei allen unseren Gesprächen bisher nicht ein einziges Mal die Wahrheit gesagt.«
»Dann müßte mein Geständnis jetzt Sie doch eigentlich befriedigen.«
»So? Denken Sie?« Morse sah sie durchdringend an. Sie gab ihm den Blick trotzig zurück, ging aber nicht darauf ein.
»Kann ich es jetzt unterschreiben?«
Morse schwieg einen Moment.
»Halten Sie das wirklich für richtig?« fragte er ruhig. Aber sie antwortete nicht darauf, und so schob er ihr den Bogen über den Tisch und stand auf. »Sie haben einen Kuli dabei?«
Sheila Phillipson nickte und öffnete ihre große Lederhandtasche.
»Glauben Sie ihr, Sir?«
»Nein«, sagte Morse lapidar.
»Was machen wir denn jetzt mit ihr?«
»Lassen Sie sie ruhig eine Nacht in der Zelle schmoren. Ich denke, sie weiß ziemlich genau, wie der Mord passiert ist, aber sie hat ihn nicht selbst begangen.«
»Sie meinen, sie deckt nur ihren Mann?«
»Könnte sein. Ich
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